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47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

Titel: 47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hier eingezogen. Von Norden kommend, hatten diese Leute weder Waffen noch sonstige Ausrüstungsgegenstände bei sich gehabt, und bereits nach kurzer Zeit brachte man in Erfahrung, daß diese Truppe die Besatzung von Chihuahua gebildet hatte und von Juarez gezwungen worden war, die Waffen zu strecken und das Versprechen abzulegen, nicht wieder gegen ihn zu kämpfen.
    Der Kommandant dieser in Ruhestand versetzten Truppen hatte eine Stafette um Verhaltungsmaßregeln nach dem Hauptquartiert abgeschickt und mußte bis zur Rückkehr derselben hier verweilen.
    Über alles dies war nicht viel zu sprechen. Das einzige, was in der Stadt den Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit bildete, war der Umstand, daß mit diesen Leuten eine Dame gekommen war, eine Dame von so wunderbarer Schönheit, daß sie den Neid der Frauen und die Bewunderung der Männer im Sturm erobert hatte, trotzdem sie nur erst zweimal in der Kirche zu sehen gewesen war.
    Sonderbarerweise hatte sie sich nicht in der Stadt, sondern droben im alten Kloster eine Wohnung gesucht, und zwar bei dem jetzigen Pförtner und Heilgehilfen der Anstalt, welcher unter dem Namen Pater Hilario allgemein bekannt, aber keineswegs beliebt war.
    Es war Abend, und Pater Hilario saß in seiner Klause, über alten medizinischen Schriften brütend. Seine Stube war höchst einfach eingerichtet. Das einzige Auffällige hier waren die vielen Schlüssel, welche rund an den Wänden hingen.
    Der Pater war ein kleines, hageres Männchen mit Kahlkopf. Sein vollständig glattrasiertes Gesicht zeigte jene Verbissenheit, welche man nicht bei Menschen, sondern nur bei Bulldoggen suchen möchte und doch bei den ersteren zuweilen findet. Er mochte im Anfang der Siebziger Jahre stehen, schien aber noch ziemlich rüstig zu sein.
    Da klopfte es leise an die Tür. Er hörte es dennoch sogleich, und es ging ein Lächeln über sein Gesicht, ein Lächeln, welches nur sehr schwer zu beschreiben ist. Könnte der Stößer lächeln, wenn er das Nahen einer ahnungslosen Taube gewahrt, so würde sein Lächeln genau dasjenige des Pater Hilario sein.
    „Herein!“ sagte er im freundlichsten Ton, der ihm möglich war.
    Die Tür öffnete sich, und wer trat ein? Señorita Emilia, welche wir bereits von Chihuahua her kennen.
    „Guten Abend, ehrwürdiger Herr!“ grüßte sie.
    „Hoch willkommen, schöne Señorita!“ antwortete er, indem er sein Buch zuklappte und sich vom alten Stuhl erhob.
    „Ich hoffe doch nicht, daß ich störe?“ lächelte sie.
    „Stören, Señorita? Wo denkt Ihr hin. Ich stehe Euch zu jeder Zeit, bei Tag und bei Nacht, mit tausend Freuden zur Verfügung. Darum habe ich mir ja auch erlaubt, bei Euch anfragen zu lassen, ob Ihr die Gewogenheit haben wollt, an meiner Abendschokolade teilzunehmen.“
    „Und ich bin Eurer Einladung sehr gern gefolgt, weil ich dabei Gelegenheit finde, die Langeweile des Abends ein wenig zu verplaudern.“
    „O, an dieser Langeweile seid Ihr ja selbst schuld!“
    „Wieso?“
    „Warum habt Ihr Euch bei mir und nicht unten in der Stadt einquartiert? Da unten hätte es an Kurzweile nicht gefehlt.“
    „Ich danke für diese Kurzweile! Eine Unterhaltung mit einem Charakter, dem ein langes Leben Gelegenheit gegeben hat, zu kristallisieren, ist mir mehr wert als jene Zerstreuungen.“
    Sie nahm nachlässig auf dem Sofa Platz, welches in dem Zimmer stand. Aber dieser Nachlässigkeit war eine so fein berechnete, daß dabei die Schönheit ihrer vollen, elastischen Glieder auf das deutlichste hervorgehoben wurde.
    Der frühere Mönch ließ seine Augen mit gierigen Blicken auf ihr ruhen. Es war, als ob er sie verschlingen möchte. Sie aber tat, als ob sie dies gar nicht bemerke.
    „Wollt Ihr etwa sagen, daß Ihr mich für so einen kristallisierten Charakter haltet?“ fragt er.
    „Gewiß“, antwortete sie unter einem Aufschlag ihrer Augen, der so fromm, so unbefangen und unbewußt war und doch das älteste Herz mit jugendlicher Glut durchfeuern konnte. „Ich hasse das Unfertige, Unvollendete, auch in Beziehung auf den Umgang mit den Menschen. Ich würde nie mit einem Mann sympathisieren, dessen Inneres und Äußeres noch zu wachsen, sich noch zu entwickeln hat.“
    „Ihr vergeßt aber, daß beim Menschen in demselben Augenblick, an welchem das Wachstum aufhört, auch sofort der Niedergang wieder beginnt.“
    „O, was nennt Ihr Niedergang, Señor Hilario? Wenn der Mensch von den Kräften seines Körpers und Geistes übergeben kann, so ist dies nur ein Beweis,

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