49 Stunden
jung war. Sie hatte keine Ahnung, wo er war und wann er wieder nach Hause kommen würde, doch sie wusste eines, nämlich dass er eine große Kiste mit Schokoriegeln im Kleiderschrank versteckt hatte. Eigentlich wollte sie dieses Geheimnis mit niemandem teilen, sagte sie Katie, doch da sie eh nur zwei Tage bei ihnen sein würde, konnte sie es ihr ruhig anvertrauen.
Eine Minute später öffnete Tamara den Schrank, und dann den Karton, und Katie lief das Wasser im Mund zusammen.
***
Mary starrte wie gebannt auf den Zettel. Sie versuchte zu verstehen, was hier eigentlich geschah. Sie hatte an Rache gedacht, jemand, dem sie die Freilassung auf Kaution abgewiesen hatte, wollte es ihr nach seinem Gefängnisaufenthalt heimzahlen. Oder Glenn, ihr Ex, wollte sich so Katie zurückholen. Aber damit hatte sie nun nicht gerechnet.
Es ging ausgerechnet um den Fall, den sie heute Morgen erst durchgegangen war, in ihrem Büro und im Morgenmantel. Der Fall Castello. Dieser reiche Kerl, der Donnerstagnacht seine Ex-Frau und deren neuen Mann umgebracht hatte und dann mit seiner Tochter fliehen wollte. Heute Morgen hatte es für Mary keinen Zweifel gegeben, dass sie in diesem Fall unbedingt den Antrag auf Freilassung gegen Kaution ablehnen würde. Doch nun war genau das die Forderung!
Was sollte sie tun? Natürlich musste sie nun umplanen, musste Harry Castello gehen lassen. Nur wer würde ihr das abnehmen? Die Leute im Gericht, allen voran Dillon Bradley, kannten sie gut genug, um zu wissen, dass sie unter normalen Umständen keine Kaution festgelegt hätte.
Nur waren dies keine normalen Umstände. Auch wenn sie sich damit schuldig machte, das Gesetz zu missachten, auch wenn ein möglicher weiterer Mord nach Harry Castellos Entlassung damit auf ihre Kappe gehen würde, sie musste ihm nachgeben. Sonst würde er Katie töten lassen, da war sie sich ganz sicher. Dieser Mann meinte es todernst, sonst würde er nicht zu solchen Maßnahmen greifen.
Harry Castello würde mit ihrer Hilfe am Montagmorgen ein freier Mann sein. Er würde seine Besitztümer nehmen und untertauchen, auch wenn man ihn im Auge behielt. Er hatte seine Leute, hatte gute Beziehungen. Er wusste sich immer wieder aus der Affaire zu ziehen. Es war Mary egal. Wenn sie auch die oberste Hand des Gesetzes war, so wichtig sie ihren Job auch nahm, nichts ging ihr über Katie.
Sie legte den Brief endlich aus der Hand und ging in Katies Zimmer, wo sie sich aufs Bett setzte. Dann fiel ihr etwas ein. Sie lief in den Flur, wo sie Katies Sonnenrucksack abgestellt hatte, öffnete ihn und nahm Penny, Katies Lieblingspuppe, heraus. Zusammen mit ihr ging sie zurück zu Katies Bett und legte sich nieder, die Puppe im Arm. Bald fühlte sie, wie ihr nasse Tränen die Wangen hinunter liefen, sie wischte sie sich mit dem Handrücken weg und schloss die Augen.
Sie musste eingedöst sein, denn sie schreckte aus ihrem Schlaf hoch, als es an der Tür klingelte.
***
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Katie gut untergebracht war, war er zurück ins Zentrum gefahren und hatte sein Auto vor Mary Walters Appartementgebäude abgestellt. Gerade so weit entfernt, dass man ihn nicht sah, er aber den Eingang gut im Blick hatte.
Er sah ein paar Leute kommen und gehen, die Bullen sah er aber nicht. Carlo wusste genau, wann Cops in der Nähe waren, spürte ihre Gegenwart aus großer Entfernung, und hier war keiner weit und breit, da war er sich sicher. Sie handelte also wie befohlen, das war gut. So konnte er beruhigt weiter nach Plan vorgehen.
Er dachte an die Kleine. Er hatte ihr extra nicht seinen richtigen Namen gesagt, und nun hatte sie ihn doch erfahren, weil die Kinder ihn ständig erwähnten. War ja auch klar; er hatte nicht richtig überlegt. Dumm, jetzt würde sie ihrer Mutter sagen können, wer sie entführt hatte. Wer garantierte ihm, dass die Richterin nicht doch noch die Cops informierte, nachdem sie die Kleine wieder hatte? Dann wäre er dran!
Das bedeutete dann wohl, dass er sich nach der Übergabe schleunigst aus dem Staub machen musste, das hieß, solange bis dahin alles glatt lief und es zu einer sauberen Übergabe kam.
Doch er hatte ein gutes Gefühl bei der Sache. Er hatte die Richterin in der Hand. Sie würde stillhalten. Alles, was sie wollte, war ihre Tochter zurück. Und alles, was Harry wollte, war seine Freiheit. Und was wollte Carlo? Eigentlich wollte er nur endlich seine Ruhe. Womöglich wäre es gar nicht so verkehrt, Chicago endlich hinter sich zu lassen. So
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