5 1/2 Wochen
ist, dass ich keine Zeit mehr habe, an das ungemütliche, französisch angehauchte Frühstück zu denken. So heftig der Anstieg auch ist, so kurz ist er. Ein bisschen aus der Puste gekommen, erreiche ich das riesige Plateau.
Andächtig betrachte ich einen überdimensionalen Steinkreis, von dem ich nicht weiß, wie er entstanden sein könnte. Er ist wirklich gigantisch und vermittelt mir sofort eine unglaubliche Ruhe und das Gefühl: „Alles ist gut“. Allgemein will der Kreis als Zeichen versichern, dass alles im Universum seinen Sinn und Zweck hat - und dass ich gut daran tue, das Leben in diesem Zusammenhang zu sehen. Er deutet auf Vollkommenheit, Geborgenheit, Schutz, Verwirklichung seiner Vorhaben hin und teilt mir mit: „Es gilt jetzt, stark zu sein und unbeirrt bei Deinem Weg zu bleiben.“ Gedankenvoll betrachte ich dieses „Wunder“ eine geraume Weile, bevor ich mich an den Abstieg mache. Meine Akkus sind von diesem Energie geladenen Platz bis zum Rand voll.
Nach einigen Minuten erreiche ich das Ende dieser Plattform und es eröffnet sich mir ein wirklich toller Ausblick auf das gut 15 Kilometer entfernte Burgos.
Jetzt gilt es, einen sehr kurzen, aber umso steileren Wegabschnitt nach unten zu bewältigen. Danach hat der Kopf frei. Ab hier darf ich wieder in Trance laufen. Ich bin total begeistert. Soweit das Auge reicht, geht es so leicht weiter. Nichts und niemand könnte mich in diesem Moment vom Laufen abhalten, wer auch? Es ist weit und breit keiner in Sicht. Ich lasse mich wirklich komplett gehen und denke einfach mal an gar nichts mehr. Es fühlt sich an, als wäre ich nicht auf dieser Welt. Ich habe das Gefühl zu schweben und koste es gnadenlos aus.
Plötzlich und vollkommen unerwartet donnert etwas in einem Affenzahn an mir vorbei. Das geht so schnell, dass ich Mühe habe, diese Situation zu realisieren. Kommen mich jetzt die kleinen grünen Männchen holen? Vor Schreck zittern mir die Knie wie Espenlaub im Sturm. Die Erde hat mich in Bruchteilen von Sekunden zurück und ich erkenne, dass es sich um drei Fahrrad-Pilger handelt. Mann! Sind die denn wahnsinnig? Hätte ich einen Schritt zur Seite gemacht, hätten die nicht ausweichen können. Zum Glück läuft Ruddi in diesem Moment über die Wiese und nicht über den Weg. Sie haben ihn mit Sicherheit noch nicht einmal wahrgenommen. Die entfernen sich so rasend schnell von mir - meiner Einschätzung nach mit zirka 60 Stundenkilometern. Wenn die wüssten, was sie mir gerade angetan haben, würden sie mich zur Entschädigung mindestens zum Essen einladen. Jemand mit einem schwachen Herz, wäre bei dieser Aktion vor Schreck umgekippt. Okay, nun weiß ich, dass mit vorbeirasenden Pilgern zu rechnen ist und halte meine Ohren in Zukunft auch nach hinten weit offen.
Ohne weitere Zwischenfalle oder Begegnungen erreiche ich den kleinen Ort Cardeñuela. Es gibt eine einzige Bar, die von zwei jungen Männern betrieben wird. Ich kehre ein und bestelle mir mein Lieblingsgetränk. Ich bin der einzige Gast und die Jungs lassen es sich nicht nehmen, sich um mich zu kümmern. Mit Hilfe unserer Hände, Füße und jeder Menge Gestik und Mimik, bringen wir uns gegenseitig zum Lachen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Unterhaltung auf diese Art und Weise möglich ist. Sehr gut gelaunt verlasse ich den Ort nach einer halben Stunde.
Ich bin so gespannt wie der „Einlauf” nach Burgos ist. Die meisten Pilger fahren die letzten sechs Kilometer vor der Großstadt mit dem Bus bis mindestens zur Stadtmitte. Es ist bekannt, dass man sich durch ein endloses Industriegebiet auf einer viel zu stark befahrenen, vier- bis sechsspurigen Straße quälen muss, bevor der mehrere Kilometer lange Marsch durch die pulsierende „Metropole“ beginnt. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, mich darauf zu freuen, aber es hat sich nichts geändert: Ich laufe! Bus fahren? Was ist das? Meine Pilgerfreundin Edit hat mich auf Knien angefleht, es ihr nachzumachen und die „paar Kilometer“ zu fahren, ich solle mir den Stress ersparen usw... sie würde es auch niemandem verraten. Darum geht es doch gar nicht! Mir ist egal, was andere denken! Ich will am Ende des Camino Francés zu mir selbst sagen können: „Du bist tatsächlich jeden einzelnen Meter gelaufen.“ Ich weiß nicht warum, aber das ist sehr wichtig für mich.
Was ich nicht wusste, ist, dass es vor dem vorhergesagten stressigen Industriegebiet gilt, einen Flughafen zu umrunden. Das steht auch nicht in meinem
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