5 1/2 Wochen
leicht verletzt. Die Bisse sind nicht spurlos geblieben, aber es hält sich in Grenzen. Vielmehr steht er unter Schock. Mit großen, nassen Augen sieht er mich an, als wenn er sagen wollte: „Warum? Der hätte doch mit mir reden können. Ich habe mich sofort ergeben! Ich verstehe das nicht?!“ Er tut mir so leid. Ich nehme ihn vorsichtig in den Arm, sein kleines Herz klopft wie verrückt. Noch nie hat er schlechte Erfahrungen mit anderen Hunden gemacht. Und gerade hier auf dem Camino Francés mit seinen vielen kleinen Dörfern, in denen es immer freilaufende Hunde gibt, hat er sich schon mit so vielen „unterhalten“. Jedes Mal schnauzen sie ihn ganz aufgeregt an, wenn wir ein Dorf betreten. Mir ist schon oft vor Schreck die Luft weggeblieben, vor allem, wenn es sich um große, schwere Hunde gehandelt hat. Aber mein kleiner Ruddi, weiß nicht, dass er klein ist und bellt selbstbewusst mit aufgestelltem Kamm, eben wie ein „ganz Großer“, allzeit irgendwas Resolutes zurück und schon nach einer kurzen „Diskussion“ ist das Thema durch. Oft laufen die Hunde sogar gemeinsam ein Stückchen. Die Kommunikation klappt normalerweise hervorragend.
Ich bin immer schon der Meinung gewesen, dass ich mich in solchen Situationen nicht einmischen sollte, die Hunde haben ihre eigene Art, sich kennenzulernen. Die Kläfferei hört sich meist viel bedrohlicher an, als sie in Wirklichkeit gemeint ist. Ich sorge lediglich stets dafür, dass er bei einer Begegnung mit der eigenen Art ohne Leine kommunizieren kann, damit er nicht unbewusst von mir beeinflusst wird.
Die mir zu Hilfe geeilten „Pilger-Kollegen“ bleiben noch ein paar Minuten, um sicher zu gehen, dass mit uns alles in Ordnung ist. Völlig irritiert setzen wir beide den Weg durch dieses Dorf, auf das wir uns so gefreut hatten, fort. Ich will meine Unbekümmertheit wieder haben, auf der Stelle! Aber ich habe Angst, dass dieser Hund noch einmal über Ruddi herfallen könnte. Dauernd schau ich mich um, ich habe Gänsehaut, fühle mich verfolgt und bedroht. Ich lege den zweiten Gang ein, will nur noch hier weg.
Ein paar hundert Meter weiter haben wir uns beide wieder ein wenig beruhigt und ich betrete mit Ruddi unterm Arm einen kleinen Laden, um mir etwas Essbares und eine Flasche Wasser zu kaufen. An der Wursttheke will ich eine Leckerei für meinen tapferen Krieger ergattern. Ein Knochen soll es sein, den er während unserer nächsten Pause bearbeiten kann. Die Señora ist von meinem Hund entzückt, hat aber leider keinen Knochen da. Wild entschlossen macht sie eine riesengroße Tüte mit Wurstenden fertig und drückt sie mir als Geschenk in die Hand. Ich kaufe mir ein „nach Wunsch“ belegtes Baguette und verlasse dankbar und zufrieden angesichts so viel Herzlichkeit das Geschäft.
Nur wenige Meter weiter gibt es einen Tante-Emma-Laden. Da sich heute meine Füße wieder einmal schmerzvoll bei mir beschweren, will ich mich nach einer speziellen Fuß-Salbe für Pilger umschauen. Bereits mehrere Male wurde mir gesagt, dass jeder diese Salbe braucht, weil sie die müdesten und kaputtesten Füße wieder beruhigt. Die meisten Pilger haben sie in ihrem Rucksack. In diesem winzigen vollgestopften Laden gibt es alles, was man sich nur vorstellen kann. Der uralte Señor, dem das Geschäft gehört, sitzt hinter einer Theke auf einem Hocker und lächelt mich freundlich an. Zwischen all seinen Waren ist er mir zuerst gar nicht aufgefallen. Mit Händen und Füßen, in diesem Fall viel mehr mit den Füßen, erkläre ich ihm, was ich suche. Sofort weiß er, worum es geht. Er hält mir ein Töpfchen unter die Nase und beschreibt voller Begeisterung die Wirkung dieser Salbe, packt sie in eine kleine Papiertüte und überreicht sie mir. Für ihn ist es gar keine Frage, ob ich sie nun kaufen will oder nicht. Für ihn ist es ein Muss! Also lege ich bereitwillig zwölf Euro auf die Theke, bedanke mich für die freundliche Beratung und werde spanisch temperamentvoll verabschiedet.
In einer Stadt, in der ich so viele ungleiche Erfahrungen gemacht habe, möchte ich mir auch einen Stempel in meinen Pilgerpass setzen lassen. Ich steuere die nächste Herberge an. Viele Stufen muss ich erklimmen, um den Eingang zu erreichen. Hier steppt der Bär. Wie gestern in Hontanas halten sich in dieser Albergue viel zu viele Pilger auf. Sie teilen mir gleich mit, dass es kein freies Bett mehr gibt. „Ich will doch nur einen Stempel haben!“ antworte ich amüsiert. Sie wirken wieder alle so
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