5 1/2 Wochen
gestresst. Es wundert mich nicht. Der Stress ist vorprogrammiert: Viele laufen in aller Herrgottsfrühe los, oft schon um fünf Uhr, um nur ja noch am frühen Nachmittag ein Bett zu bekommen. Sie gehen davon aus, dass sie zu späterer Stunde auf keinen Fall mehr einen Schlafplatz finden können. Hallo...! Ich weiß, dass das nicht stimmt. Wichtig ist: schön geschmeidig bleiben und fest dran glauben, dann klappt‘s auch mit der Unterkunft.
Ich muss für den Stempel eine Weile anstehen und sehe mich wieder einmal darin bestätigt, wenn irgend möglich, in einer Pension oder einem Hotel zu übernachten. Der Einblick in den Schlafsaal genügt mir. Wie in Grañón in der Kirche, liegen auch hier in einem riesengroßen Raum, der an eine Turnhalle erinnert, Matten auf dem Boden. Matte an Matte, dazwischen gerade genug Platz für die Füße, damit man sein Lager erreichen kann. Nee danke, das muss ich mir nicht geben! Nachdem mein Pass gestempelt ist, bin ich auch ganz schnell wieder weg.
Die Belohnung des Tages ist die Beschaffenheit des Weges bis zum Anstieg zur Sierra de Mosterales. Er führt durch Felder und Wiesen, ist nicht asphaltiert, sehr breit, flach und ohne Stolperfallen. Tief berührt, nach dem Stress in Castrojeriz, überlasse ich mich hier meinen Tagträumen von einem erfahrungsreichen, unterm Strich immer harmonischen, Jakobsweg.
Dass Träume wahr werden, steht für mich schon sehr lange fest. Sie verwirklichen sich in der Intensität, mit der man an sie glaubt. Eine positive Grundeinstellung ist das wichtigste Handwerkszeug um Träume in die Erfahrung zu holen. Und daran „arbeite“ ich täglich. Schlechte Erfahrungen, die nicht zu meinen Träumen passen, zeigen mir über meine Emotionen, dass ich mich in die entgegengesetzte Richtung entwickle. Sie erinnern mich daran, mich mehr mit dem Gewünschten zu beschäftigen, anstatt dem Negativen zu viel Raum zu geben.
So hänge ich also meinen Träumen nach, bis der angekündigte Anstieg beginnt. Ich sehe auf dem sehr, sehr, sehr, sehr steilen Weg nach oben viele Pilger, die ihr Fahrrad schieben. Ich erkenne von weitem, wie arg sie sich mit dem Gewicht des Rades und zusätzlichen Gepäcks quälen. Zentimeter um Zentimeter bewegen sie sich vorwärts. „Nur nicht bange machen lassen!“ beruhige ich mich selbst. Es ist eine echte Herausforderung, die ich jetzt angehe. Meine Schritte sind ganz kurz, höchstens so lang wie mein Fuß. Ich rufe mir in Erinnerung: „Du schaffst das. Alles ist möglich! Du musst es Dir nur vorstellen können. Geh einfach. Der Weg wächst im Gehen, unter deinen Füßen, wie durch ein Wunder.“ Der Anstieg ist tatsächlich kurz, aber dafür umso steiler (ja, ich weiß, dass ich mich wiederhole). Es sind 100 Höhenmeter. Mein graziler Ruddi schwebt natürlich vor mir her und feuert mich an: „Komm schon, es ist ganz leicht!“
Fix und fertig, aber glücklich und stolz auf mich, erreiche ich die Sierra de Mosterales und werde, wie erwartet, mit einem atemberaubenden Ausblick über die unendliche Tierra de Campos belohnt. Hier oben stehen Tische und Bänke für die geschafften Wanderer bereit. Ich packe Ruddi‘s Fresstüte von der freundlichen Señora aus und staune nicht schlecht, als ich ein Stück Schinken entdecke, das einen ausgewachsenen Schäferhund satt machen würde. Ruddi darf eine Weile daran rumknabbern. Komplett kann ich ihm die Köstlichkeit nicht überlassen, das bekäme ihm nicht. Wir machen eine etwas ausgedehntere Pause, obwohl noch acht oder neun Kilometer bis Itero de la Vega vor uns liegen. Es ist jetzt fast 15 Uhr. Zu lange sollte ich nicht hier kleben bleiben. Obwohl ich mir in diesem Moment durchaus vorstellen kann, mich einfach auf diesen Tisch zu legen und einzuschlafen. Vielleicht würde ich es tun, wenn mein Schlafsack wärmer und größer wäre.
Der Abstieg ist zunächst genauso steil wie der Anstieg. Wie schon so oft überlege ich, was mir leichter fallt: Das Raufgehen oder das Runterlaufen?! Beim Kraxeln möchte ich gerne schneller sein, bergabwärts muss ich peinlichst darauf achten, dass meine „Bremsen“ nicht versagen. Ich finde keine Antwort auf diese Frage. Sicher ist nur, dass ich früher immer dachte, ich könnte gar nicht bergauf laufen. Ich wurde auf dem Jakobsweg schon am ersten Tag eines Besseren belehrt. Es geht! Und zwar viel leichter, als ich mir je hätte vorstellen können. Der Trick dabei sind lediglich die ganz kurzen Schritte.
Nach kurzer Zeit wird der Abstieg sanfter und ich
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