5 1/2 Wochen
Kneipe Leons, direkt hier am Güterbahnhof, soll mir kurz ein bisschen Abkühlung und eine Erfrischung bringen. Sieht nicht gerade Vertrauen erweckend aus, aber ich betrete sie trotzdem. Ich brauche einen Stuhl, Flüssigkeit und etwas Salziges. Mein Körper schreit danach. Und wenn ich da drinnen mit irgendjemandem kämpfen muss, einfach weil ihm danach ist, dann mach ich das. Ich hau alle um, die sich mir in den Weg stellen.
Vor und hinter der Theke befinden sich ein paar durchtrainierte „harte Jungs“. Der Raum ist sehr dunkel und einfach eingerichtet. Die Rollladen an den Fenstern sind dreiviertel heruntergelassen. Ich besorge mir eine Cola und eine kleine Tüte Chips. Alleine sitze ich an einem langen Tisch, mit dem Rücken zur Tür und zu den Männern. „Lasst mich bloß alle in Ruhe! Ich bin gleich wieder weg!“ suggeriere ich ihnen. Da betreten fünf ausgeflippt bekleidete ganz junge und wilde Menschenkinder die Kneipe und fragen überraschend höflich, ob sie sich zu mir setzen dürfen. Ich überrasch mich selbst und stimme zu. Es gibt bestimmt wieder irgendeine Message für mich, die wichtig ist. Immer offen bleiben...!
Schon nach wenigen Minuten weiß ich worum es geht. Die jungen Wilden sind super gut drauf. Da sie nur Spanisch und ein bisschen Englisch sprechen, wissen wir alle nicht so genau, worüber wir lachen. Aber wir haben Spaß. Sie interessieren sich für meine Erlebnisse auf dem Pilgerweg und ich erzähle wieder mit vollem Körpereinsatz davon. Sie finden es riesig, dass ich mit dem kleinen süßen Ruddi unterwegs bin, der momentan von einem Schoß auf den nächsten wandert. Diese Begegnung hat meine gute Laune aus dem dunklen Keller wieder ans Tageslicht geholt.
Bis Virgen del Camino sind es gute vier Kilometer, die es allerdings in sich haben. Bergauf und bergab geht es weiter über die Nationalstraße und durch Industriegebiete. Kurz vor der Stadt, überholen mich vier Reiter. Eins der Pferde ist nicht gut drauf. Das macht mich ziemlich nervös, weil der Reiter so grob zu dem Tier ist. Das Pferd bockt immer wieder - auch auf der sehr stark frequentierten Hauptstraße noch. Ich hoffe inständig, dass da nichts passiert. Sie führen ihre Pferde am Halfter vor mir über den Bürgersteig und der Abstand zwischen ihnen und mir wird viel zu langsam größer. Es fällt mir schwer, dabei zuzusehen, wie der eine immer wieder sein Pferd schlägt. Gerade als ich mir vornehme, die Männer doch nochmal einzuholen, um meinen Kommentar dazu abzugeben, hat ein anderer der Reiter ein Einsehen und tauscht mit dem genervten sein Pferd. Danach biegen sie in eine Seitenstraße ab und sind verschwunden.
gleicher Tag (insgesamt 481,6 km gelaufen)
Virgen del Camino (2676 Einwohner), 906 m üdM, Provinz León
Hotel, Doppelzimmer, 40 Euro ohne Frühstück
Geschafft! Ich bin nach 20 Kilometern, aus denen ich schätzungsweise 23 gemacht habe, weil ich mich in der City andauernd verlaufen habe, endlich an meinem Etappenziel Virgen del Camino angekommen. Dieser Ort ist relativ groß, da finde ich bestimmt schnell eine Unterkunft. Ich bleibe einfach auf der Hauptstraße, die auch der offizielle Camino ist. Es dauert eine Weile, aber kurz vor dem Ortsausgang finde ich ein Hotel. Mal sehen, ob sie noch ein Zimmer frei haben.
Ich betrete eine vornehme, moderne Eingangshalle. Es gibt tatsächlich eine richtige Rezeption. Das ist ein großes, sehr gutes Hotel. Ich blicke auf mindestens sechzig Gästepostfächer und es steht sogar ein Computer bereit, in den die Personalien eingegeben werden. Wow! Dafür, dass ein Pilger normalerweise in einer Herberge nächtigt, ist das ganz schön überkandidelt. Wird ein bisschen teurer, aber das habe ich mir heute verdient. Egal jetzt!
Die Señorita begrüßt mich außerordentlich freundlich, sie spricht sogar ein wenig Deutsch. Der Tresen ist sehr hoch, ich kann mit meinem Metersechzig so gerade darüber sehen. Hat natürlich den Vorteil, dass sie meine Pilgerklamotten, - von der Hitze der Großstadt ziemlich mitgenommen - meinen Rucksack und vor allem Ruddi nicht sehen kann.
Bereitwillig nimmt sie meinen Ausweis entgegen und weist mir ein Zimmer zu. Sie nennt mir den Preis und überlässt es mir, sofort oder morgen zu bezahlen. Ich zahle sofort, dann hab ich das aus den Füßen und muss morgenfrüh hier nicht Schlange stehen. Wer weiß, wie viele Gäste sich gerade in diesem Haus aufhalten.
Als sie um den Tresen herumkommt, um mich persönlich auf mein Zimmer zu begleiten,
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