5 1/2 Wochen
Gelegenheit habe, mich von der mutigen jungen Frau zu verabschieden, die dafür gesorgt hatte, dass mein Hund und ich in diesem Hause über Nacht bleiben durften. “Gracias por todo, señora. Lo siento por die Umstände.” Sie schaut beeindruckt lächelnd auf die ihr bekannte Hunde-Tasche und umarmt mich herzlich. Nachdem ich die heutige Etappe auf gute 25 Kilometer bis nach Hospital de Órbigo festgelegt habe, machen wir uns besser direkt auf den Weg.
Nach ein paar hundert Metern stehe ich ratlos vor einer Kreuzung. An dieser Stelle gibt es gelbe Pfeile, die in alle Richtungen zeigen. Ich habe keine Ahnung, welchem ich folgen soll. Der Jakobsweg bietet nämlich ganz frech eine Nebenvariante an. Es stellt sich mir die Frage, ob ich den Camino um vier Kilometer verlängern will und schön gemütlich durch die Felder wandere oder bis zum Ziel die Hauptroute nehme und an der Nationalstraße N-120 entlangkrieche. Wähle ich die reizvollere Variante komme ich heute auf fast 30 Kilometer. Ich weiß aus Erfahrung, dass das für mich eigentlich zu viel ist. Andererseits macht mir die N-120 nervlich - und folglich auch körperlich - sehr zu schaffen. Was mach ich denn bloß?
Entscheidungshilfe ist eine junge Frau, die mich fragt, wie es denn hier weiter geht. Sie hat schon die Entscheidung getroffen, die Hauptroute zu gehen. Es gilt nur noch, den richtigen Einstieg zu finden. Wir blättern beide in unseren Reiseführern und kommen dann ganz langsam dahinter. Die Pilgerkollegin macht einen ruhigen und ausgeglichenen Eindruck auf mich. Sie erzählt mir, dass sie heute Morgen ganz früh in León losgelaufen ist und noch bis Villadangos del Páramo laufen will. Das sind noch dreizehn Kilometer. “Gehst Du auch über die Hauptroute?” fragt sie ganz nebenbei. “Ja!” sage ich wie aus der Pistole geschossen und freue mich, dass ich endlich die Antwort gefunden habe. Wir gehen ein paar Kilometer zusammen. Sie heißt Susanne, ist so um die dreißig und kommt aus Leipzig. Sie ist Erzieherin für Kinder und Jugendliche aus Problemfamilien. Das interessiert mich insofern, als dass ich zu Hause eine Bekannte habe, die gerade mitten in der umfangreichen Ausbildung zu diesem aufregenden Beruf steht. Sie erzählt mir ein paar interessante Geschichten über ihre Arbeit.
Wir müssen uns aber auch sehr stark darauf konzentrieren, keinen gelben Pfeil zu übersehen. Es bleibt noch ein bisschen verzwickt. Wir befinden uns auf einem Weg, der unter verschiedene Viadukte hindurchführt. Momentan müssen wir immer wieder abbiegen. Im Normalfall - Großstädte ausgenommen - ist der Jakobsweg gar nicht zu verfehlen und verläuft, ganz grob gesehen, immer schön geradeaus. Zur Absicherung, sieht Susanne immer wieder in ihren Reiseführer.
Na endlich! Da ist sie ja! Die Nationalstraße! Juchhu! Jetzt können wir uns entspannen und locker machen. Susanne hat ein ganz anderes Tempo als ich und wir beschließen, dass es besser ist, wenn jeder seinem eigenen Rhythmus folgt. Schnell wird der Abstand zwischen uns größer und Susanne immer kleiner. Nach vier Kilometern, kurz vor Valverde de la Virgen, treffen wir wieder aufeinander. Sie hat auf mich gewartet: „Sollen wir zusammen einen Kaffee trinken gehen?” Vor einer Bar und direkt an der Hauptstraße lassen wir uns häuslich nieder. Wir bleiben draußen sitzen. Die Terrasse ist überdacht. Diesmal bin ich mit erzählen dran. Sie will wissen, wie sich der Jakobsweg mit Hund anfühlt. Es tut mir gut, gerade mit jemandem zusammen zu sitzen, der ebenso gut erzählen wie auch zuhören kann.
Wir müssen uns beide einen Ruck geben, um uns aus den bequemen Stühlen zu erheben und weiterzulaufen. Bis zum nächsten Ort sind es nur 1,6 Kilometer, die laufen wir zusammen und genehmigen uns in San Miguel del Camino gleich die nächste Pause bei einem kalten Getränk. Es ist wieder sehr warm heute und bis Villadangos del Páramo sind es noch über sieben Kilometer am Stück. Diesmal bevorzugen wir das Bar-Innere. Die Sonne ist erbarmungslos. Ruddi legt sich auf den kühlen Steinfußboden und ist nach einer knappen halben Stunde auch wieder betriebsbereit.
Nach ein paar hundert Metern läuft wie zuvor jeder in seinem eigenen Tempo. Wir lassen es darauf ankommen, ob wir uns in Villadango del Páramo wiedersehen oder nicht. Und es soll so sein. Meine neue Pilgerbekannte macht wieder eine Rast kurz vor dem Ort und hat - genau wie ich - das unbändige Verlangen, sich auf einen Stuhl zu setzen und etwas zu
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