5 1/2 Wochen
trinken. Susanne ist nun eigentlich an ihrem Etappenziel angekommen. Im Gegensatz zu mir, ist sie nach ihrem Pensum von mindestens 22 Kilometern aber noch so fit, dass sie beschließt, einen Ort weiterzulaufen. Das sind ja nur schlappe 4,6 Kilometer. Aber es ist ja auch noch relativ früh am Tag. Und: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!
So kommt es, dass wir bis San Martin del Camino nebeneinander herlaufen. Immer schön an der N-120 entlang. Kurz nach 14 Uhr kommen wir an. Ich bin ganz fasziniert von mir selber! Noch so früh am Tag und schon fast achtzehn Kilometer weiter als heute morgen. Susanne hat bestimmt einen Magneten im Rucksack, der mich heimlich mitzieht und schneller werden lässt, damit sie nicht immer so lange auf mich warten muss. Ich gebe aber auch gerne zu, dass ich ziemlich am Ende bin.
Am liebsten bliebe ich. Dann fehlen mir jedoch sieben Kilometer und die Zeit bis zum endgültigen Ende dieses Urlaubs wird immer knapper. Außerdem habe ich bereits für morgen einen Plan gemacht und der umfasst ebenfalls 25 Kilometer. Da kann ich also nur ganz schwer sieben Nachhol-Kilometer draufpacken. „Wenn Du es bis Santiago de Compostela schaffen willst, musst du Gas geben”, flüstert mir meine innere Stimme zu und ich weiß, was zu tun ist. Auch wenn’s weh tut! Meine Schienbeine melden sich heute immer wieder. Sie brennen. Ich weiß gar nicht, warum sie das tun, wir laufen doch jetzt schon so lange durch Spanien, um genau zu sein fast 500 Kilometer. So langsam sollten sie daran gewöhnt sein.
Susanne findet direkt an der Hauptstraße eine Herberge. Sie übernachtet immer in Herbergen und war bisher meistens zufrieden damit. Bevor wir uns trennen, habe ich das Bedürfnis, zu sehen, ob sie hier auch gut untergebracht ist. Vielleicht gefällt es ihr ja nicht und will doch noch weiterlaufen. Wir betreten den Hof. Er ist so liebevoll angelegt. Es gibt ganz viele bunte Blumen, die wild durcheinander gepflanzt wurden. Unter Sonnenschirmen stehen runde Gartentische mit den dazugehörigen Plastikstühlen. Ein paar Katzen verdünnisieren sich fluchtartig. Eine ist mutig und belegt eine Fensterbank, als wir nähertreten und der müde Ruddi sich über den Hof schleppt. „Er will doch nur mal guten Tag sagen, bleibt entspannt. Kein Grund zur Panik! Wir sind gleich wieder weg”, suggeriere ich den Hof-Tigern.
Wir werden von einer sehr sympathischen Frau empfangen. Sie zeigt Susanne ihr Bett und lässt es sich nicht nehmen, mir vorher noch eine Café con leche zu servieren. Normalerweise ist hier Selbstbedienung. So sitze ich eine Weile alleine mitten in dieser Oase und genieße. Ruddi nehme ich auf meinen Schoß, damit er sich keine Sorgen wegen der Katzen machen muss und sich schön entspannen und erholen kann.
Nach zwanzig Minuten kommt Susanne total begeistert zurück. “So gut habe ich es noch nie angetroffen. Jetzt weiß ich, warum ich doch noch weiter gelaufen bin. Ich würde ich am liebsten ein paar Tage bleiben. Ich habe ein Zimmer für mich ganz alleine. Das ist fantastisch. Und die Herbergsmutter ist so lieb. Sie kocht persönlich für die Pilger heute abend. Wie ich sie einschätze, wird das ein Schmaus. Bleib doch auch hier.”
Es ist schon sehr verlockend, als die „liebevolle Mutter der Kompanie” persönlich zu mir sagt: „Ich habe noch ein Bett frei. Mit Deinem Hund kannst Du auch ein Einzelzimmer haben.” Am liebsten würde ich mich ergeben. Sieger ist am Ende die Vernunft. So gegen 15 Uhr verabschiede ich mich zwar schweren Herzens, aber mit der Gewissheit, dass es Susanne richtig gut geht.
Nun liegen also noch einsame 7,6 Kilometer vor mir. Schön einfach an der Nationalstraße entlang. Hospital de Órbigo ist nicht zu verfehlen. Meine Schienbeine tun mir mittlerweile so weh, dass ich bei jedem Schritt aufstöhne und den Tränen sehr nah bin. Ich bleibe immer wieder stehen, weil ich befürchte, dass die Knochen zwischen Fuß und Knie gleich zu Asche verfallen, so sehr brennt es unter der Haut. Wie lang können sieben Kilometer sein!? Mein Hund würde mir so gerne helfen. Er tanzt um mich herum wenn ich aufstöhne, als wollte er sagen: “Komm spring auf. Ich trage Dich das letzte Stück. Aber da würden mir ja die Knie über den Boden schleifen. Schürfwunden sind auch nicht so angenehm. Das lass ich lieber.
Kurz vor 18 Uhr darf ich die gehasste N-120 verlassen und biege rechts in einen Feldweg ein. Kurz vor Puente de Órbigo nehme ich eine Bank in
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