5 1/2 Wochen
weiß ich auch, warum so viele Wasserkanister auf dem Grundstück stehen.
Zum Abendessen betreten wir dann die Gemächer von Tomás und seinen Leuten. Winzig, verwinkelt, eng, vollgestopft, drinnen setzt sich das Chaos fort, das draußen beginnt. Es ist aber auch mollig warm und es duftet nach Essen. Ein einziger Tisch befindet sich in dieser Kajüte. Er bietet Platz für zwölf Personen und ist bereits gedeckt. Die Hunde haben genau hier drin mehrere Schlafplätze, die auch Betten sein könnten. Ich glaube zumindest, dass die für die Hunde sind. Vielleicht übernachten aber auch die Mitarbeiter hier. Momentan liegen auf jeden Fall die Perros darin. Ruddi ist natürlich auch dabei, allerdings in seiner Tasche. Die stelle ich neben mir, direkt auf dem Platz eines der Hunde, ab. Das kann auch so bleiben, es ist für den großen Vierbeiner in Ordnung. Gemütlich und zufrieden liegen die zwei also auf einer Matratze. Hätte ich nicht gedacht, dass der das zulässt. Toll! Danke, Perro grande.
Es werden nach und nach tatsächlich alle Plätze belegt. Wo haben sich die restlichen Pilger bis jetzt versteckt und wo wollen die alle schlafen? In dem Raum, in dem wir eben Tee getrunken haben, sind doch nur fünf Matratzen. Komisch, muss ich gleich mal nachfragen. Zurück zum Essen. Tomás und der Mann, der mich hier aufgenommen hat, haben persönlich gekocht. Ich entschuldige mich mit einer Magenverstimmung. Ich bringe es nicht über die Lippen, warum ich wirklich nichts esse und trinke. Anscheinend verpasse ich was. Es muss ausgesprochen lecker sein, sämtliche Platten, Schüsseln und Teller werden unter vielen „hmmmm, lecker“ ratzeputz leer gegessen.
Tomás ist genauso, wie er mir beschrieben wurde. Er macht sich Sorgen um mich, und will mir einen Tee aus selbst gezüchteten Kräutern kochen. Ich muss das ablehnen, weil ich gesehen habe, wie einer der Hunde in der Nähe der Kräutertöpfchen sein Bein gehoben hat. Das spreche ich aber hier in der geselligen Runde natürlich nicht aus und finde nur fadenscheinige Entschuldigungen dafür, dass ich auch den Tee ablehnen muss. Ich glaube, jetzt hab ich’s mir versaut, sie scheinen es so langsam persönlich zu nehmen, dass ich alle Angebote ablehne. Ich find es zwar selber doof, aber ich kann nun mal nicht anders. Ich habe schließlich meine Nieren- und Darmtätigkeit eingestellt.
Der Abend verläuft tatsächlich urgemütlich und ganz anders, als ich es bisher erlebt habe. Es fühlt sich an, als wären wir alle eine Familie. Es wird viel erzählt und gelacht. Richard, ein Pilger aus Irland, singt zwischendurch Lieder für uns. Alle hören zu, sprechen keinen Ton mehr, wenn er singt. Ein paar Tränchen kullern so manche Wange hinunter. Jeder fühlt in sich hinein und hängt seinen ureigenen Gedanken über diese Pilgerreise nach. Es ist ein Abend, der ans Herz geht.
Geschlossen gehen wir zehn Peregrinos rüber in unsere Hütte und ich staune nicht schlecht, dass es eine Etage höher, unterm baufälligen Schieferdach auch noch fünf Matratzen gibt. Hoffentlich hält die Decke stand, wenn die alle da oben sind. Wie auch immer: Meine Pilgerkollegen sind genauso geschafft wie ich. Kein Wunder, wir hatten ja ohne Ausnahme den gleichen Weg. Innerhalb von Minuten liegen alle auf ihren Plätzen und sind zufrieden.
Nach langer Zeit kommt mein Schlafsack zum Einsatz. Ruddi ziehe ich in seiner Tasche ganz nah zu mir ran. Jetzt wo der Ofen aus ist, wird es empfindlich kalt hier drin. Richard bietet uns an, noch ein Schlaflied zu singen. Wie auf Kommando kommt ein gehauchtes, aber klares „oh jaaaah“ von allen. Als das Lied zu Ende ist, bedanken wir uns ganz leise und dann kehrt Ruhe ein. Eine Ruhe, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nie „gehört“ habe. Ich liege noch eine ganze Weile so da und genieße diese besondere Stille. Es fasziniert mich, dass ich noch nicht einmal einen der anderen atmen höre. Jetzt weiß ich, was das Besondere in Manjarín ist. Die Strapazen und Enttäuschungen des Tages sind verblasst. Auch wenn es in meinem zu dünnen Schlafsack ein bisschen kalt ist, so spüre ich doch die Herzenswärme, die gerade von jedem einzelnen ausgeht.
Sonntag, 11. Mai 2008
Manjarin (50 Einwohner), 1458 m üdM, Provinz León
27. Etappe bis Molinaseca, 15 km
Es ist halb sieben. Meine Pilgerfreunde verlassen nach und nach die Hütte. Für mich ist es ein bisschen früher als sonst, aber für Herbergs-Übernachter relativ spät. Wir haben, ohne darüber zu
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