5 1/2 Wochen
sehr unruhig. Bei jeder Bewegung bin ich wach geworden. Alles tut weh. 31 Kilometer steck ich nicht einfach so weg. Das Jammern hat lediglich den Effekt, dass ich mich noch schlechter fühle. Ich nehme mir ein Beispiel an Ruddi, der in Erwartung seines Frühstücks fröhlich um mich herum tänzelt. Ja! Ich freue mich unbändig auf einen heißen Café con leche mit einem frischen Croissant. Nichts wie weg! Ich packe Ruddi unter meinen Poncho und quäle mich die vielen Stufen hinunter. Richtig durchatmen kann ich erst, als ich an der Rezeption vorbei bin. Heute Morgen sitzt eine Frau in dem engen Empfangsbereich. Sie sieht ein bisschen freundlicher aus, als der Blonde, der die Nachtschicht geschoben hat. „Qué tiempo (was für ein Wetter)! Buen camino, señora, y gracias.“
Auf dem großen Platz vor dem Hostal sind außergewöhnlich viele Pilger. Kaum draußen, lasse ich Ruddi frei. Jetzt kann ja nichts mehr passieren. Verhaften werden sie mich wohl im Nachhinein nicht. Wie praktisch, dass mein Schnurzel nur wenige Meter entfernt ein Stückchen Wiese zum Pinkeln findet. Bei dem Wetter will auch er schnellstens mit mir zum Frühstück, ins Trockene! Es schüttet regelrecht.
Die Bars sind überfüllt. Es ist ein Kommen und Gehen. Viele kramen in ihren Rucksäcken. Plastiktüten kommen kurz zum Vorschein, bevor sie in einem anderen Fach im Rucksack wieder verschwinden. Wild wird in neu aussehenden Reiseführern geblättert. Die Pilger finden das Wetter mehr als nervig. Ich kenne keinen einzigen von ihnen. Mir wird klar, dass sehr viele den Jakobsweg erst knappe 200 Kilometer vor Santiago de Compostela beginnen. Das reicht nämlich dicke, um die Pilgerurkunde zu bekommen. Zu Fuß werden 100 Kilometer verlangt und mit dem Fahrrad 200 Kilometer, damit das heißbegehrte Dokument ausgestellt wird.
Also, ich will nicht falsch verstanden werden. Ich laufe auch lieber ohne Regenschutz den Camino Francés und habe meine persönliche Vorstellung von den perfekten Verhältnissen beim Wandern, aber grundsätzlich gebe ich mich jeden Morgen dem hin, was auf mich zukommt. Ja! Sorry! Manchmal heule ich auch rum! Aber der Jakobsweg ist nun mal kein Wunschkonzert. Und oft weiß der Pilger erst im Nachhinein - wie im echten Leben auch - wofür etwas gut war, dass sich zunächst mies angefühlt hat. Dieses Bewusstsein habe ich persönlich nach den ersten zwei, drei Tagen erlangt.
Die Neuankömmlinge haben ihre innere Ruhe noch nicht gefunden und sind noch völlig unerfahren im Wandern. Ständig geht irgendjemand kurz vor die Tür, um das Wetter zu checken und nimmt kopfschüttelnd vor Entsetzen darüber, dass es immer noch nass ist, wieder am Tisch Platz. Am liebsten würde ich eine kurze Rede halten: „Ja, ihr Lieben! Sonnenschein wäre vielleicht besser, aber auch nur, wenn gleichzeitig ein paar Wolken unterwegs sind. Sonst wird es nämlich schnell zu heiß für den Pilger mit seinem großen Rucksack auf dem Rücken. Ihr müsst es nehmen, wie es kommt. Jeden Moment aufs Neue. Es kostet ein wenig Überwindung, aber nach wenigen hundert Metern merkt ihr den Regen gar nicht mehr.“ Da ich kein Glas zum zarten Anschlagen in Griffweite habe, schicke ich meine aufklärenden Worte per Gedanken und hoffe, dass sie den ein oder anderen erreichen.
Es bleibt laut und hektisch. Was für ein Glück, dass ich noch ein kleines Plätzchen zum Sitzen finde. Ich blende den Tumult um mich herum aus und konzentriere mich auf meinen Reiseführer. Ich habe vor, bis Ó Cebreiro zu laufen. Das sind 29 Kilometer. Dann bin ich bereits in Galicien. Ó Cebreiro liegt auf fast 1300 Metern über dem Meeresspiegel. Also ist heute wieder eine anstrengende Bergtour angesagt.
Nun muss ich mich noch zwischen zwei völlig unterschiedlichen Routen entscheiden, um zum zehn Kilometer entfernten Trabadelo zu gelangen. Die historische Hauptroute führt mich durch das Tal neben der angeblich schwach befahrenen alten Nationalstraße. Die deutlich längere Nebenroute verläuft mit starken Höhenunterschieden über Pfade durch das Gebirge. Was mach ich nur? Ich sperre für ein paar Minuten meine Ohren auf und versuche mal mehr Informationen aufzuschnappen. Viele Pilger spekulieren über die Route durch die Berge. Ich höre, dass der Weg sehr abenteuerlich sein soll. Die Steigungen seien auf den schmalen Pfaden kaum zu bewältigen und teilweise überaus gefährlich - vor allem bei dem Wetter. Also beschließe ich, locker und unbeschwert durch das Tal zu wandern. Heute ist
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