5 1/2 Wochen
mit Aussicht sowieso nichts.
Es geht auf halb elf zu und bevor die Panik mich übermannt, mache ich mich an die geplanten 29 Kilometer. Wenn das klappt, bin ich die Königin der Berge. Das könnte spät werden heute Abend. Ich klettere aus Villafranca del Bierzo hinaus und bin schon bald auf der alten Nationalstraße. Eine 80 Zentimeter hohe Betonmauer schützt den Pilger vor den Autos auf dieser kurvenreichen Straße. Der Verkehr hält sich tatsächlich in Grenzen.
Es lässt sich ganz gut laufen auf dem ziemlich breiten und komfortabel angelegten Fußweg. Der Himmel verspricht, es den ganzen Tag regnen zu lassen. Schön, dass der Wind heute frei hat. Vier Pilgerinnen, die sich eine Menge zu erzählen haben, überholen mich. Zum einen werfen sie einen herablassenden Blick auf meinen Hund und zum anderen höre ich keinen Gruß, geschweige denn „buen camino“. Ich verstehe zwar nicht, was sie reden, aber es wirkt streitlustig auf mich.
Ich habe das Gefühl, zwei von ihnen schon mal gesehen zu haben. Die sind also nicht mehr so ganz frisch unterwegs. Sie haben keine gute Ausstrahlung, bin froh, dass der Abstand zwischen uns schnell größer wird. Ich erinnere mich nicht, jemals ohne ein einziges Wort an einem anderen Pilger vorbeigegangen zu sein. Sei’s drum!
Die fünf Kilometer bis Pereje sind schnell geschafft. Der Ort liegt an einer schmalen geteerten Straße, die ein wenig Abstand zur Nationalstraße hat. Hier ist es ruhig und idyllisch. Ich komme den vier Frauen wieder näher, die mich vorhin überholt haben. Eine von ihnen hat einen knallroten sexy Slip am Rucksack hängen. Provozierend hüpft er bei jedem Schritt auf und ab. Zum Trocknen hängt der da nicht, denn es regnet ja. Eine ihrer Freundinnen hält das Dessous obszön lachend mit ihrem Wanderstock in Schwung. Die anderen krümmen sich vor Albernheit und rufen sich in derbem Tonfall irgendwas zu. Ich bin nicht prüde, aber diese Frauen machen bei genauerem Hinsehen einen ziemlich abgewrackten Eindruck auf mich. Diese Szene würde zum Rosenmontag in der Kölner Altstadt passen, wenn die Jecken im Morgengrauen nach vier durchzechten Tagen und Nächten laut grölend aus einer Kneipe torkeln. Mit dem Jakobsweg hat das gesamte Verhalten nichts zu tun. Ich staune mit offenem Mund, fange mich aber schnell wieder und bleibe dabei: „Jeder nach seiner Fasson.“
In Pereje gönne ich mir meinen Café con leche. Nein, das wird mir nicht langweilig, ich bin wahrscheinlich süchtig danach! Die Frauen sind - wie kann es anders sein? - auch hier. Sie haben sich an mehreren männerbesetzten Tischen verteilt und bringen Leben in die Bude. Ich bekomme mit, wie sie Ruddi begutachten und mit einem verständnislosen, verachtenden Blick auf mich über ihn herziehen. Einige spanische Vokabeln kann ich raushören, aber sie müssen einen sehr starken Dialekt sprechen. Sie sind ganz offensichtlich abfällig uns gegenüber. Ihre Gesichter sind hasserfüllt. Was ist denn los? Ich hab nix gemacht!
Man sagt ja, dass jeder Pilger irgendwann auf dem langen Jakobsweg den Teufel trifft. Na, dann bring ich das jetzt mal schnell hinter mich. Damit wäre das auch erledigt. Und plötzlich weiß ich wieder woher ich zwei von ihnen kenne! Das sind die Frauen, die sich in der Herberge der Kirche in Foncebadón das Brot auf dem Ofen geröstet haben. Jetzt kann ich mir auch vorstellen, über was die reden, wenn sie mich und Ruddi abschätzend ins Visier nehmen.
Ich ringe um Fassung und erlange sie auch nach wenigen Minuten. Ich setze mich auf einen anderen Stuhl, mit dem Gesicht zur Wand, damit sich alle Beteiligten das Elend nicht länger mit ansehen müssen. Mein Blick fällt auf die Münzen, die in der Naturstein-Wand abgelegt wurden. Ich unterhalte mich mit einem Pilger, der sich an meinem Tisch niedergelassen hat, darüber. „Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Er erzählt mir, dass das in Spanien keine Seltenheit ist. Jeder Gast, dem danach ist, legt eine kleine Münze in die Wand und wünscht dem Wirt damit Reichtum. Das finde ich toll, so eine Wand möchte ich in meinem Wohnzimmer auch haben. Natürlich liegt ab sofort auch eine meiner Münzen in dieser Wand.
Bereits nach nur weiteren drei Kilometern entdecke ich eine Fernfahrer-Raststätte, jedenfalls stehen Unmengen von LKW auf einem riesengroßen Parkplatz. Ich muss mal dringend Pippi. Das ist doch die Gelegenheit. Fällt im Trubel bestimmt nicht auf, wenn ich ohne was zu verzehren, mal eben die Toilette benutze. Im
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