5 1/2 Wochen
einverstanden, dass ich zunächst meine Sachen aufs Zimmer bringe, erwartet mich aber noch einmal zurück. Er will mir noch was zeigen.
Na, da darf ich ja gespannt sein. Wo will der denn mit mir hin? Weit geh ich nicht! Dass das mal klar ist!
Auf dem Weg zu meinem Zimmer, begegnen uns zwei adrette und ihrem Beruf entsprechend gekleidete Zimmermädchen. Ich staune nicht schlecht. Zimmerpersonal sehe ich zum ersten Mal auf dem Jakobsweg. Ich bin der einzige Gast in diesem Haus. Über dicke Teppiche erreichen wir mein Zuhause für eine Nacht. Ein Traum wird wahr. Der Raum ist sehr großzügig, hat eine Flügeltür, die auf eine riesengroße Terrasse mit Aussicht auf die Berge führt, in denen ich eigentlich jetzt unterwegs sein wollte. Tja, den Horizont bekommen wir wohl erst morgen wieder zu sehen! Das Bad hat sogar eine Wanne, mit einer klarsichtigen Duschwand. Vielleicht stürze ich mich ja nachher noch in die Fluten? Alles ist perfekt und großzügig. Prima, dass ich immer offen bin und das erleben darf. Danke!
Wie versprochen kehre ich tatsächlich sofort zu meinem Verehrer zurück. Bin neugierig, was er mir zeigen will. Auf unserem Tisch stehen wieder zwei Kurze, die wir ohne weiter zu zögern ruck zuck runterkippen. Dann steht der alte Señor auf, nimmt meine Hand und zieht mich Richtung Ausgang. Hilfesuchend blicke ich zum Wirt. Der lächelt milde und nickt mir beschwichtigend und beruhigend zu. „Okay, dann komm ich mal mit. Aber Vorsicht, ich habe meinen Wachhund dabei!“
Er führt mich um das erstaunlich große Gebäude herum und setzt sich mit mir auf einen riesengroßen Felsblock. Es hat aufgehört zu regnen. Etwas weiter unten plätschert ein Bach. Die Vögel zwitschern ihr Abendlied. Vor uns liegen die Berge. Das ist ein wunderschöner Platz. Es kommt mir so vor, als säße ich seit Jahren bei Sonnenuntergang auf diesem Fels.
Viel leiser als eben und mit Tränen in den Augen, erinnert sich der Mann an meiner Seite an die Zeit, als seine Frau noch lebte. Jeden Abend haben sie hier zusammen gesessen und den Tag ausklingen lassen. Sehnsüchtig blickt er in die Berge. Nach einer kurzen Pause, berichtet er, dass vor Jahrhunderten genau an dieser Stelle die Pilger ihr Lager aufbauten. Guck an, deswegen habe ich wohl so ein vertrautes Gefühl. So ein Platz verliert nie seine energetischen Schwingungen. Das wird mir von Tag zu Tag klarer.
Dieser alte Spanier ist ehrlich glücklich darüber, dass er mir das alles zeigen und erzählen darf. Schmunzelnd und mit einem Zwinkern, hält er um meine Hand an. Wenn ich wollte, könnte ich wohl übermorgen heiraten. Na, was sagen Sie jetzt?! Nix mehr, ne? So geht es mir auch und ich ziehe mich aus der Affäre, indem ich ihn unterhake und wieder zurück ins Lokal ziehe. Ein Schnaps muss noch sein, bevor ich mich tief berührt verabschiede und auf mein Zimmer gehe.
Ich fühle mich hier so gut aufgehoben, wie schon lange nicht mehr. Molinaseca war „bezaubernd“, aber was in den letzten zwei Stunden passiert ist, war eine Herzensangelegenheit - und zwar auf allen Seiten. Es macht mich ehrlich traurig, dass dieses Hotel, der einstige Bauernhof des Señors nun verkauft werden muss, obwohl in allen Ecken zu spüren ist, wie sehr die Besitzer daran hängen.
Gegen 21 Uhr nehme ich Platz im Comedor. Der Wirt hat sich um niemanden sonst, als nur um mich zu kümmern. Und das tut er mit Leidenschaft. Er bekocht und bedient mich persönlich. Sein Sohn, steht hinter der Theke. Das Drei-Gänge-Pilger-Menü ist ein Traum. Ich genieße jeden Bissen. So lasse ich den Abend tatsächlich in willkommener Einsamkeit und angenehmer Ruhe ausklingen, während ich die letzten Stunden noch einmal Revue passieren lasse.
Im Bett will sich mir doch tatsächlich das schlechte Gewissen aufdrängen, weil ich heute nur halb so weit gelaufen bin, wie es geplant war. Ich lasse mich nicht darauf ein. Irgendwie hole ich die fehlenden 13 Kilometer schon wieder auf. Ich hätte es wahrscheinlich nicht geschafft, am Abend 600 Höhenmeter zu überwinden. Und was wäre mir entgangen, wenn ich an dem Schild vor der Tür „zu verkaufen“ achtlos vorbeigelaufen wäre. Ich kuschel mich in meine Decke - bin unendlich zufrieden und glücklich. Ruddi auch!
Mittwoch, 14. Mai 2008
Ambasmestas (68 Einwohner), 605 m üdM, Provinz León
30. Etappe bis Alto do Poio (Padornelo) 22,6 km
Ich bin sehr aufgeregt heute Morgen. Noch heute, kurz vor O Cebreiro werde ich die Grenze nach Galicien überschreiten. Meine
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