5 1/2 Wochen
haben sie sich nicht mehr getrennt. Ihr Tempo passt perfekt zusammen. Und nicht nur das! Sie sind sich nähergekommen und zurzeit sehr verliebt. Und das wollen sie genießen, so lange es anhält. Ich bin begeistert. Sie sagen nicht „wir sind ein Paar“. Sie sagen: „Wir gehen gemeinsam unseren Weg, solange es uns glücklich macht.“ Sie lassen mich an ihrem Glück eine Weile teilhaben und ich sauge diese erquickende und seltene Energie auf, die bedingungslos liebende Menschen ausstrahlen.
„Bleib hier, Birgit. Die Herberge ist ein besonderes Schätzchen. Ich zeig sie Dir. Das musst Du gesehen haben.“ Celin geht mit mir raus, nachdem ich mich von Richard verabschiedet habe. Um die Ecke steht ein zwar winziges, aber sehr gepflegtes Häuschen. Die Tür ist weit geöffnet. Wohltuende Düfte strömen aus dem Inneren. Kräuterbündel hängen im Eingang zum Trocknen. Meine Pilgerfreundin zieht mich in den Raum. Nun stehe ich in einem esoterischen Lädchen. Der besondere Duft entspringt den vielen Räucherstäbchen und Kerzen, die hier angeboten werden. Bücher, Kartendecks, Engel- und Buddha-Figuren, Tees, Kräuter, Heilsteine, Ketten, Kopfbedeckungen und Souvenirs warten auf Abnehmer. Zuhause würde ich mein letztes Geld für solche Sachen ausgeben. Mit Aussicht auf zusätzliches Gewicht verzichte ich aber lieber.
Dieser Tienda schließt sich ein traumhafter Aufenthaltsraum an. Ein wunderschöner offener Kamin wartet darauf, am Abend angefeuert zu werden. Rattan-Möbel mit vielen weichen, sauberen Kissen laden zum gemütlichen Beisammensein ein. Auf einem Couchtisch wurden liebevoll Blumen und Kerzen dekoriert.
In dieser Herberge gibt es lediglich sechs Schlafplätze. Ich lerne die überaus freundliche Herbergsmutter kennen, die auch Ruddi herzlich begrüßt. Ein Bett wäre noch frei. „Es fällt mir schwer, aber ich muss weiter.“ Sie versucht mich zum Bleiben zu bewegen, indem sie mir vorschwärmt, was sie heute Abend Gutes für ihre Pilger kochen wird. Außerdem steht noch ein spezielles esoterisches Programm auf der Liste. Wer mag, kann an einer Yogastunde oder gemeinsamen Meditation teilnehmen.
Das ist wieder so ein Moment, wo meine Vernunft siegen muss; wo ich mich unter Druck setzen muss, wenn ich mein gestecktes Ziel erreichen will. Ich könnte heulen. „Lo siento, ich muss weiter!“ Celin verabschiedet mich mit den Worten: „Sei nicht traurig. Es ist schon alles gut, so wie es kommt. Du wirst sehen. Dein Endziel ist Santiago de Compostela und das ruft Dich. Lass Dich durch nichts davon abhalten, das würdest Du Dir nie verzeihen. Wir denken an Dich und schicken Dir ganz viel positive Energie. Buen camino.“ Ihre Umarmung drückt bedingungslose Liebe zu allem und jedem aus. Sie gibt mir Zuversicht, Gelassenheit und gute Laune mit auf den Weg.
Ein steiler Viehsteig führt aus La Faba heraus. Zwischen Wiesen und Weiden geht es in den Bergen stetig ansteigend voran und höllisch steil nach oben. Ab und zu werfen mir die widerkäuenden Kühe ein müdes Lächeln rüber. Die Landschaft wird immer weiter. Wundervoll! Von Zeit zu Zeit bleibe ich stehen und bewundere die Schönheit dieses Planeten.
Je höher, desto steiler. Meine Schritte werden immer kürzer, um überhaupt noch voran zu kommen. Sehr anstrengend! „Mein liebes Frollein, da bleibt Dir aber die Luft weg!“ Bin ich froh, dass das Wetter mitspielt. Zum einen bietet es mir atemberaubenden Weitblick, zum anderen würden die Pfade bei Regen zur Rutschbahn. Mittlerweile schau ich alle paar Meter die Berggipfel an, nicht nur weil sie so schön sind. Nein! Ich versuche vor mir selbst zu verbergen, dass meine Ventile ganz schön klappern. Komme mir momentan wie eine alte Dampflock vor, der viel zu viele Wagons angehängt wurden.
Ein ganzes Stück zurück entdecke ich nun zwei Menschen. Der hintere ist vielleicht ein Pilger. Der vordere eher nicht. Sein Rucksack gleicht einem Handtäschchen. Bin gespannt, wer oder was da unterwegs ist. Sie holen mich bald ein. Ich höre mittlerweile, wie einer der beiden, den anderen andauernd anfeuert. „Komm, so steil ist es nicht. Du schaffst das. Denk einfach nicht drüber nach!“ Es handelt sich unverkennbar um Österreicher. „Jetzt stell Dich doch nicht so an. So ein bisschen Berg wirst Du ja wohl noch hochlaufen können. Bisschen schneller, sonst kommen wir nie an!“ Ich stell mich vorsichtshalber soweit es geht an die Seite, damit die zwei mich gefahrlos überholen können.
Der mit dem Täschchen
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