5 1/2 Wochen
ist ein Bergführer, dessen Berufung es zu sein scheint, Pilger fertig zu machen. Oder was ist hier los?! Der mit dem größeren Rucksack tut mir so leid. Er ist völlig hinter Atem. Die Augen stehen vor, der Schweiß rinnt ihm in Sturzbächen von der Stirn, obwohl es gar nicht so heiß ist. Der ist völlig am Ende. Ich bin in Hab-Acht-Stellung um ihn notfalls aufzufangen. Er ringt sich mit letzter Kraft ein „Servus“ ab. Ich kann das nicht zulassen, dass der zirka 60 Jahre alte Mann spätestens in 50 Metern völlig hilflos den Berg wieder runter rollt und spreche den gnadenlosen Antreiber um Einsicht bittend an.
„Ein bisschen steil ist es ja schon, oder?“ „Na, i kimm aas Äasterreich, do san die Berg no steilerer! Dees do is a Witz, is dees!“ Oh, mit dem ist nicht gut-Kirschen-essen. Er mag so Ende vierzig sein, ist arrogant und der wohl beste und fitteste Bergsteiger der Welt. Auf Einsicht brauche ich nicht zu hoffen. Der ist wild entschlossen, einen Rekord aufzustellen. Bevor er an mir vorbei ist, stelle ich mich ganz vorne in die Reihe auf diesem sehr schmalen Bergpfad und mach mich so breit ich kann. Das Überholen ist somit momentan unmöglich. Die beiden Männer müssen zumindest eine Weile hinter mir bleiben. Ich traue meinen Ohren nicht: „Sie san a z‘longsom. A bissl schnöller gaht‘s ollaweil. Hopp, hopp!“ Ich reagiere besser gar nicht auf diese Unverschämtheit, sondern wahre im letzten Moment vor einem Ausbruch meinerseits die Contenance.
Genau jetzt erreicht die kleine Karawane, dessen Anführerin ich die letzten zwei, drei hundert Meter sein durfte, den Grenzstein zu Galicien. Überglücklich bestaune ich das mindestens zwei Meter hohe Pilgerdenkmal. Ich verwickle die beiden Männer in ein Gespräch. Tatsächlich schaffe ich es mit viel Ignoranz der großen Arroganz des Bergführers, Zeit für den Getriebenen zu schinden. Ich erfahre, dass die beiden lediglich die Tour von Las Herrerías bis O Cebreiro machen. Sie sind also beide keine Pilger. Es geht darum, den mythischen Anstieg mit seinen 700 Metern Höhenunterschied zu bewältigen. Ich muss mir vorbeten lassen: „Das hier ist doch nur ein Hügel. Bei uns zu Hause in Österreich mache ich ganz andere Touren. Ich weiß auch gar nicht, warum die Pilger sich so schwer tun? Wo ist das Problem, das ist ein Spaziergang nach Ó Cebreiro.“ Ich erinnere ihn daran, dass ein Pilger um die 13 Kilo Gepäck dabei hat und eventuell im Flachland zu Hause ist. Außerdem ist keiner auf der Flucht, sondern auf dem Jakobsweg. Ich lass es! Der Sturkopf hat die Ohren auf Durchzug gestellt!
Sein Schützling sieht schon wieder ein bisschen besser aus, atmet aber immer noch schwer. So bitte ich den „Bergführer“ einige Fotos von mir vor dem Grenzstein zu machen. Gut Ding will Weile haben. Ich muss mich ja schließlich perfekt in Pose stellen. Und der Hund...! Ja! Der Hund soll natürlich auch mit aufs Bild. Pech, dass der hier so viel zu schnuppem hat und lang und breit überredet werden muss, für ein Foto stillzustehen. Letztendlich versteckt mein Kumpel sich hinter meinen Wanderstöcken.
Nach einer Erholungspause von ungefähr zehn Minuten überlasse ich die beiden wieder sich selbst. Sie sind ja schließlich alt genug. Ich habe mein Bestes gegeben. Buen camino? Oder was? Ich bleibe noch einen Moment und genieße den Anblick des Grenzsteins. Es ist wie ein „kleines Finale“. Bis Santiago de Compostela sind es lediglich noch ungefähr 150 Kilometer und ab hier gibt es alle 500 Meter einen Pilger-Kilometerstein. Galicien zu betreten gibt mir das Gefühl, zwei Ecken später durchs Ziel zu laufen.
Um 15 Uhr erreiche ich den Gipfel - 1293 Meter über dem Meeresspiegel - über einen Weg, der ohne meine Wanderstöcke nicht zu machen gewesen wäre. So stehe ich am Rand einer gut befahrenen Landstraße. Eine bauchhohe Mauer gibt mir die Sicherheit nicht den Steilhang herunterzustürzen. Diese Aussicht! Ich werde sie mein Leben lang nicht vergessen. O Cebreiro! Legenden und Geheimnisse umranken dieses Dorf mit seinen 50 Einwohnern. Sie waren die allerersten im Hinblick auf die Fürsorge für die Pilger. Die strohgedeckten Steinhütten keltischen Ursprungs, Pallozas genannt, sind erstaunlich gut erhalten. Vor vielen Jahren lebten die Menschen in einem Raum mit ihren Tieren. In einer von ihnen befindet sich das Muséo Etnográfico (volkskundliches Museum).
Viele Pilger und Touristen tummeln sich auf dem Kopfsteinpflaster im Ortsinneren. Wie in
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