5 1/2 Wochen
meinem Reiseführer angemerkt, liegt das Dorf auch heute im Nebel. Es fängt sogar an zu regnen. Welche Bar besuche ich denn bloß? Die Atmosphäre ist ein bisschen wie in einer Altstadt. Es gibt alle möglichen Serviceangebote und eben jede Menge Kneipen, Hotels und Herbergen. Überall ist es ein Kommen und Gehen. Ich gönne mir in der nächstbesten Bar meinen hart verdienten Café con leche. Alle Pilger sind stolz auf sich, hier oben heil angekommen zu sein. Die Stimmung ist ausgelassen fröhlich. Wie in Rabanal del Camino haben sich die meisten etwas zu Essen bestellt. Ich kann ein weiteres Mal nicht widerstehen und lasse mir eine große Portion Fritten mit viel Salz und Mayo servieren. Hm, lecker! Während ich den Snack genieße, bade ich in der Betriebsamkeit der vielen Menschen. Mit einigen komme ich ins Gespräch. Es gibt kaum jemanden, der heute noch weiterzieht. O Cebreiro ist mit großer Wahrscheinlichkeit ausgebucht.
Vor mir liegen noch zwölf Kilometer und der Aufstieg auf den Alto do Poio. 700 Höhenmeter versuchen meine Beine gerade zu verarbeiten und wegzustecken. Das Aufstehen fällt mir schwer. Mein Körper appelliert mal wieder an meinen Verstand. „Ich bin der Boss! Wir gehen jetzt!“ Gesagt, getan. Brauche ich im Nieselregen meinen Poncho? Ja, komm! Wer weiß, was da noch draus wird. Ich zieh ihn lieber gleich an, bevor ich mitten im Wald danach kramen muss und der Wind das Ding widerspenstig macht.
Ich laufe über Hügel Richtung Wald und muss wieder peinlich darauf achten, nicht über Wurzeln oder Steine zu stolpern. Irgendwas fehlt mir! Bei jedem Schritt denke ich darüber nach, was das wohl sein könnte. Ich laufe und laufe. Und dann endlich wache ich auf und weiß plötzlich was ich vermisse: „Ich habe viel zu lange keinen gelben Pfeil mehr gesehen. Und die Kilometersteine, die alle 500 Meter dem Pilger die Entfernung nach Santiago deutlich machen, verstecken sich auch vor mir.
Ach, du Scheiße! Ich hab mich verlaufen! Und jetzt? Ich habe keine Ahnung, wie weit ich zurück müsste, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Wild entschlossen gehe ich einfach weiter.
Nach einer langen Zeit und mehreren Kilometern im Wald befinde ich mich auf einem landwirtschaftlichen, festgefahrenen Weg. So! Erst mal tief Luft holen! Dann entscheiden, ob links oder rechts die bessere Wahl ist. Um ein Gefühl oder Zeichen von Innen wahrnehmen zu können, sollte ich erst mal runterkommen, mich beruhigen. Ablenkung ist angesagt! Zunächst entledige ich mich meines Ponchos und packe ihn liebevoll wieder in den Rucksack. Dann stell ich Ruddi’s Wassernapf auf den Weg und beobachte ihn ein bisschen. Im Nachhinein fällt mir ein, dass er vorhin, an einer Weggabelung im Gegensatz zu mir, gerne abgebogen wäre. Hätte ich mal auf ihn gehört! Seine Nase hat uns schon häufiger vor einem Irrweg bewahrt. Tja, da war ich wohl nicht so ganz bei ihm.
Ganz langsam nähert sich ein kleiner Lieferwagen. Ich rufe Ruddi zu mir, nehme den Napf aus der Fahrspur und trete zur Seite. Auf meiner Höhe hält der Wagen an. Zwei junge Männer drehen die Scheiben herunter und machen mich darauf aufmerksam, dass ich auf dem falschen Dampfer bin. Wenn ich sie richtig verstehe, bin ich ziemlich weit vom offiziellen Camino entfernt. Ich lasse mir erklären, wie ich zum nächsten Ort komme. Mit weit ausholenden Handbewegungen weisen sie mir den Weg, betonen immer wieder, dass es ein ganzes Stück zu laufen ist. Ja! Hallo? Ich bin Pilgerin und nicht auf dem Weg zum Supermarkt. Ich laufe bereits seit einem Monat den ganzen Tag, oder kürzer ausgedrückt, seit 630 Kilometern! Wie weit kann da wohl Hospital da Condesa entfernt sein? Fahren? Niemals! Kommt nicht in Frage! Sie bieten mir mehrmals an, mich mitzunehmen. Es regnet auch wieder stärker und es ist für sie gänzlich unvorstellbar, bei so einem Wetter zu Fuß zu gehen. Wenn ich noch ein bisschen länger diskutiere, bieten sie mir wahrscheinlich Geld, damit ich in ihren Wagen einsteige. Jetzt wird mir das zu bunt. Ich werde kurz sehr ernst und schicke sie mit einem strengen, wild entschlossenem „gracias por todo“ weiter.
Ich kann den Wagen noch längere Zeit sehen. Sie fahren so langsam, als rechneten sie damit, dass ich es mir doch noch anders überlege. Oder wollen sie mir einfach nur deutlich machen, wo ich langgehen muss? Nach mehreren Kilometern leicht bergab, komme ich an einem Pilger-Denkmal vorbei. Na also, geht doch! Total erleichtert endlich wieder auf dem
Weitere Kostenlose Bücher