5 1/2 Wochen
zählt!
Wie komme ich aus diesem Bett? Schön langsam am besten! Ich höre, dass Hermann im Badezimmer ist und nutze die Gelegenheit, ohne Zuschauer und aus eigener Kraft in die Senkrechte zu kommen. Alle Laute, die meinen Mund verlassen wollen, werden unterdrückt, der Einzige, der mich genau unter die Lupe nimmt, ist Ruddi. Ich glaube, er würde mir gerne helfen - oder lacht er mal wieder über mich, ohne eine Miene zu verziehen? Jedenfalls ist meine Mission geglückt bevor Hermann die Kulisse betritt. Betont locker tänzele ich in das kleine Badezimmer. Meine Bewegungen gleichen aber mehr einem hölzernen Regentanz, als dem eleganten Wiener Walzer.
Ruddi’s Taschen-Häuschen ist über Nacht wieder trocken geworden, jedoch haben die Nähte gelitten. An einigen Stellen lösen sie sich. Oh je! Was soll ich ohne diesen kleinen Rucksack nur machen? Den brauche ich nicht zuletzt, um meinen Hund in fünf Wochen wieder ins Flugzeug zu bekommen! Mit dem Notfallnetz um den Hals lassen sie mich bestimmt nicht in die Kabine! Hermann gibt Anweisungen: „Ich brauche einen Karton, um den Innenraum zu stabilisieren und eine große Mülltüte, um die Tasche und ihren Inhalt vor dem Regen zu schützen.“ Ich laufe in das kleine Geschäft auf der anderen Straßenseite und organisiere beides. Mit viel Geduld und liebevollen Überlegungen wird Ruddi’s „Campingausrüstung“ repariert und präpariert. Der Müllsack wird maßgeschneidert. Er hat genauestens abgemessene Luftschlitze an den richtigen Stellen und wird mit zwei starken Gummibändern außen befestigt. Ich bin tief beeindruckt wie sehr Hermann sich um meinen Hund bemüht.
Dann kümmern wir uns gemeinsam um seinen Rucksackinhalt. Da kommen tütenweise Lakritze und Gummibärchen zum Vorschein. Für 14 Tage T-Shirts, Unterwäsche und für jedes Wetter eine Jacke oder ein Pulli. Außerdem viele Utensilien die Männer für den Notfall - falls mal was kaputt geht oder nicht funktioniert - so dabei haben: Zwei Handys, Fernglas, Wecker, Taschen- plus großes Gürtelmesser. Das ist noch nicht alles: Jeweils die Maxiausführung Shampoo, Duschgel, Rasierschaum, Gel und eine 15er Packung Tempos. Es fällt ihm schwer, sich von dem einen oder anderen Teil zu trennen. Kann ich zwar verstehen, aber 17 Kilo Gepäck sind einfach zu viel, auch für einen Mann. Vor allem wenn er Probleme mit den Schultern hat. Er hat momentan auch noch zusätzlich eine sehr schwere, schwarze, lange Winter-Jacke mit hohem Kragen und Verstärkungen an den Ellbogen an. Wenn ich mir vorstelle, dass es demnächst wärmer wird und er diese Jacke in den Rucksack packen muss, tut er mir leid. Ich schätze, dass die alleine so um die drei Kilo wiegt, wenn nicht noch mehr. Meiner Meinung nach eignet sie sich zum Motorradfahren, aber nicht für den Camino. Von diesem Kleidungsstück will er sich aber unter keinen Umständen trennen.
Nach reiflichen Überlegungen, fliegen die Süßigkeiten, jede Menge Unterwäsche und einige alte T-Shirts sofort aus dem Rucksack. Diese Sachen lässt Hermann einfach hier liegen. Vielleicht kann die Vermieterin damit was anfangen. Handy, Wecker, Fernglas und noch ein paar Kleidungsstücke wird er mit der Post nach Hause schicken. Wenn das erledigt ist, kommt auch sein Rucksack nur noch auf elf bis zwölf Kilo. Das wird er deutlich merken. Außerdem verstellen wir die Gurte und Riemen, damit das Gewicht mehr auf der Hüfte liegt, als auf den Schultern. Nach getaner Arbeit bringt Hermann sein Gepäck wieder zur Herberge. Von hier aus wird es nach Pamplona geschickt. Heute will er nochmal seine Schultern schonen. Ruddi findet das toll, denn - wie könnte es anders sein - es regnet ein „bisschen“.
Zum Frühstück gehen wir um den Häuserblock in die nächste Bar und treffen zu meiner großen Freude auf die Aachener, Gabi und Franz-Josef. Wir fallen uns stürmisch um den Hals. Franz-Josef besorgt blitzschnell Café con leche und Croissants für alle. Wir berichten uns gegenseitig, wie der gestrige Tag verlaufen ist. Sie haben in der Herberge übernachtet. Muss ganz angenehm gewesen sein, nicht so groß wie in Roncesvalles. Sie waren, wie wir, nach dieser Etappe vollkommen am Ende.
Wir sprechen auch darüber, wie gefährlich teilweise bei dem Regen die Berghänge sind. Zu meinem Entsetzen berichten sie, dass dort gestern ein Mann sechs Meter tief abgestürzt ist und nun im Krankenhaus liegt. Dessen Frau - die das natürlich mit angesehen hat - ist einem Nervenzusammenbruch nah. Der
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