5 1/2 Wochen
Ich vertraue ihm. Er geht bestimmt nicht ohne mich weg.
Der Ladenbesitzer ist ungefähr 70 Jahre alt, so groß wie ich und unglaublich quirlig. Er bittet mich freundlich hinein und schon baumeln ein paar Würste vor meinen Augen hin und her. „Ach so!“ denke ich. „Die haben die Diele zum Verkaufsraum umgebaut. Klein aber fein.“ Ich entdecke durch die Würste hindurch Käse, Gemüse, Obst, Brot und ein paar Dosen. Es ist sehr eng in diesem schlauchähnlichen Raum. Ich stehe direkt vor der kleinen Ladentheke und neben der „Kasse“. Die Einrichtung ist noch aus der Nachkriegszeit. Auf Brocken-Spanisch mache ich dem Mann klar, was ich brauche: „Hundefutter für den kleinen Racker, der draußen sitzt.“ Er hält mir freudestrahlend eine Ein-Kilo-Dose Hunde Nassfutter hin. Die kann ich natürlich nicht gebrauchen. Ruddi bekommt pro Tag nur 100 Gramm. Ich muss das alles schleppen! Ich bin Pilger. Ich schaue ihn verzweifelt bittend an: „Tiene vielleicht Trockenfutter, por favor?“ Ich kann förmlich seinen Kopf qualmen sehen, so angestrengt wühlt er in seinem Hirn nach einer Alternative.
Dann plötzlich geht er entschlossen durch die „Diele“ in einen angrenzenden Raum und winkt mich hinterher. Ich traue meinen Augen nicht: Hier gibt es ein Sortiment, wie in einem kleinen Supermarkt. Wir gehen schnurstracks geradeaus, dann durchwandern wir wieder einen lang gezogenen Raum, der ein bisschen an einen Baumarkt erinnert. Das gibt es doch gar nicht! Das ist ja fast ein Einkaufscenter. Während wir weitergehen, versucht er mir klarzumachen, dass er zwar kein Hundefutter, aber Fressen „por el gato“ hat. Was will mir dieser Mann bloß sagen? Und wo will er denn mit mir hin?
Wir erreichen über den Hof einen Raum, der früher bestimmt mal ein Stall war. Hier sieht es aus wie im Fressnapf. Futter und Zubehör für alle möglichen Tiere. Er greift mit einer Schaufel tief in eine große Tonne und ich habe einen Moment den Eindruck, dass ich ihn am Gürtel festhalten sollte, damit er nicht hinein fällt. Er füllt eine Plastiktüte mit dem Trockenfutter und drückt sie mir in die Hand. Super! Ich habe Futter! Aber was ist „el gato“? Er versucht es mir zu erklären - ich verstehe nix. Plötzlich entfährt ihm ein entzücktes „mira“ (schau mal)! Er zeigt Richtung Garten und da sehe ich eine Katze in der Sonne liegen. Er hat mir also Katzenfutter abgefüllt. Da kann Ruddi bestimmt mit leben. Das reicht für die nächsten Tage. Ich gucke mich nochmal um und bin sicher, dass ich hier auch eine Hundetasche bekommen hätte. Wer weiß, was sich in den unzähligen Regalen so alles versteckt. Ich bin mal wieder tief beeindruckt. Er verlangt sage und schreibe einen einzigen Euro und bringt mich zur Tür. Ruddi sitzt mit gespitzten Ohren und einer Träne im nicht vorhandenen Knopfloch genau da, wo ich ihn haben will. Er freut sich, als wäre ich tagelang weg gewesen und begrüßt uns beide stürmisch. Der hilfsbereite Señor erwidert das mit spanischem Temperament und holt vor Entzücken noch schnell eine Scheibe Wurst aus seiner Theke. Soviel zum Thema: Die Spanier mögen keine Hunde!
Der Rückweg zur Herberge gestaltet sich wieder so wie eben. Nur diesmal warten die Hunde samt ihren Menschen schon an den Zäunen darauf, die Lizenz zum Bellen zu haben. Das gesamte Dorf weiß nun, dass ich mit dem Einkauf fertig bin und sie versuchen, dahinter zu kommen was ich in der kleinen Plastiktüte transportiere. Der Señor wird es ihnen bestimmt verraten, wenn sie das nächste Mal einkaufen gehen.
Hermann treffe ich wieder an der Theke unserer Herberge an. Er sitzt links von mir auf einem Barhocker. Rechts neben mir hat sich eine Frau niedergelassen, die ziemlich verbissen aussieht. Er flüstert mir zu: „Lass Dich nicht mir ihr ein. Du hast mich gerade gerettet. Die heißt Dagmar und hat mich zugelabert, bis Du rein kamst. Sie redet ohne Pause davon, wie schlimm und schlecht alles auf dem Jakobsweg ist. Sie findet den Weg, die Unterkünfte, das Essen, das Wetter, ihren Rucksack, die Leute und was weiß ich noch alles einfach nur scheiße. Außerdem geht es ihr auch körperlich schlecht. Sie fährt meistens die Etappen mit dem Bus und: Vorsicht! Die wirst Du nicht mehr los! Sie sucht Anschluss!“
Kaum hat er mich gewarnt, spricht sie mich auch prompt an. Was Hermann mir gerade erzählt hat steht ihr ins Gesicht geschrieben. Da ich mich den ganzen Tag auf einen lockeren und vor allem lustigen Abend gefreut habe, wende
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