5 1/2 Wochen
klar!“ Ruddi findet die Idee nicht so gut. Als er merkt, dass ich mich entferne, steht er auf und will hinterher. Ina beruhigt ihn und er kommt ja auch nur so weit wie seine Leine lang ist. Nach ganz kurzer Zeit bin ich wieder zurück und finde Ina aufgelöst vor. „Was ist passiert?“ Sie ist empört: „Die Verkäuferin hat mich wegen Deinem Hund angemacht. Der dürfe hier gar nicht drin sein. Ich weiß nicht, was die sonst so alles gesagt hat. Die hat sich ganz schön aufgeregt. Ich wollte ihr dann klarmachen, dass das gar nicht meiner ist, dass der Dir gehört und ich nur aufpasse. Das fand ich jetzt aber scheiße! Ich hab ja wohl nichts falsch gemacht!“ Ich versuche sie wieder zu beruhigen und sage ihr: „Das tut mir von Herzen leid. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es Ärger geben könnte. Das ist mir bis jetzt noch nicht passiert. Trotzdem danke!“ Auch das noch!
Ich trinke im Stehen meinen Kaffee aus und verabschiede mich. Ina fragt, ob wir zusammen laufen können. Ich lehne das ab mit den Worten: „Ich will den Weg alleine gehen. Jeder hat ja auch sein eigenes Tempo. Sei mir nicht böse. Wir sehen uns bestimmt in der nächsten Bar wieder.“ Draußen atme ich zuerst einmal tief durch und versuche meine innere Ruhe wieder herzustellen. Das Ganze hat mich total aufgewühlt. Die Erinnerung an meine Zeit als Taxifahrerin, die krebskranke Ina und die Ablehnung gegen Ruddi. Plötzlich steht meine neue Pilger-Bekanntschaft neben mir und fragt mich, ob ich ihr mit dem sich hinter mir befindlichen Geldautomaten helfen kann. Sie hätte mitbekommen, dass ich ein bisschen Spanisch spreche. Ich stimme natürlich zu. Die Sache ist schnell abgehandelt, da der Automat auch Deutsch „spricht“. Sie bedankt sich trotzdem und ich verlasse sie mit einem „buen camino“.
Die vier Kilometer nach Estella führen Ruddi und mich zwischen Fabriken und Gemüsegärten entlang. Im Großen und Ganzen ist der Weg wirklich leicht heute. Nur ab und zu werde ich von kurzen, dafür aber heftig steilen Abschnitten überrascht. Das Wetter ist schön. Immer wieder lässt die Sonne sich blicken. Kurz vor Estella werde ich von Edit überholt. Wir freuen uns über das Wiedersehen und sie wundert sich darüber, dass ich ohne Hermann unterwegs bin. Sie dachte gestern Abend, wir würden uns schon aus der Heimat kennen und wären zusammen verreist. Ich kläre das natürlich deutlich auf. Wir gehen ein kurzes Stück zusammen. Ich merke, dass ich heute wirklich alleine laufen muss. Ständige Gesellschaft ist mir gerade unangenehm, macht mich nervös und ich sage: „Edit, Du bist schneller als ich. Geh nur weiter. Ich bleibe zurück. Wir sehen uns bestimmt später wieder.“ Sie stimmt mir zu und ich lasse sie ziehen.
Schon nach ungefähr einer Viertelstunde, am Ortseingang von Estella, treffen wir uns noch einmal. Wir bewundern gemeinsam den Blick auf die Stadt und dann verabschiedet sich Edit, wie immer auf Englisch: „Ich muss hier irgendwo eine Post finden. Mein Rucksack ist zu schwer und ich schicke einige überflüssige Sachen nach Hause. Bis bald.“ Das habe ich in den letzten Tagen schon häufiger gehört, dass viele Pilger so Manches getrost hätten zu Hause lassen können. Mein Rucksackinhalt ist perfekt. Zumindest bis jetzt. Ich vermisse nichts und habe auch nichts Überflüssiges dabei. Doch, ein einziges Teil gibt es, das ich gerne loswerden möchte: die Rucksack- Schutzhülle für den Flug. Sie schützt die Gurte und Schnallen vor dem Abreißen auf den Transportbändern. Sie wiegt 260 Gramm. Die schleppe ich nun für fast sechs Wochen rum, ohne sie zwischendurch zu benötigen. Brauche ich die wirklich? Man kann ja nie wissen! Mal sehen - noch kann ich mich nicht trennen.
Estella ist eine einzige Baustelle. Es ist schmutzig, laut und stressig- Ich kann den Städten nichts abgewinnen. Ich will hier nur wieder schnell durch. Auf Sehenswürdigkeiten habe ich keine Lust. Ich glaube, das ist für mich eine andere Reise. Ich habe Prioritäten gesetzt. Und an erster Stelle stehen für mich die Menschen, die mir auf dem Weg begegnen. Ich will zwar alleine laufen, aber wenn ich in den Bars oder abends beim Essen bin, möchte ich genügend Zeit für Gespräche haben. Beides geht nun mal nicht, dafür hat der Tag zu wenig Stunden - außer man steht morgens um vier, fünf Uhr auf und kommt erst spät abends am Etappenziel an.
Mitten in der Stadt überhole ich eine Pilgerin, die durch ihre Erscheinung und Körperhaltung auffällt.
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