5 1/2 Wochen
die einzige Chance die Füße zu beruhigen. Das tut so gut! Hoffentlich kann ich sie überreden, nach der Pause wieder in den Schuhen zu verschwinden.
Einige Pilger kommen an uns vorbei. Wir halten kurze Schwätzchen mit ihnen. Gesprächsthema Nummer eins ist meistens Ruddi. Sie sind immer überrascht, dass ein kleiner Hund so weit laufen kann und will. Ich gebe zu, dass ich in den ersten Tagen so manches Mal gezweifelt habe. Das Schlimmste, das passieren kann, wäre der Abbruch dieser Reise. Ich glaube Ruddi weiß, wie dramatisch das für mich wäre. Nach den kleinen anfänglichen Schwierigkeiten, läuft er bereits seit zehn Tagen gut gelaunt den Camino. Selbstverständlich ist er abends „kaputt wie ein Hund“ und froh, dass er in seiner Tasche liegen kann, aber morgens marschiert er pfeifend los.
Sein Bauch hat sich wieder beruhigt und nun kümmert er sich um mich. Ich darf mit auf seiner Decke sitzen und er stützt mir den Rücken. Kleiner Hund, ganz groß! Nach einer Viertelstunde ziehe ich meine Schuhe wieder an. Es war eine sehr gute Idee, meinen Füßen auch mal Aussicht auf den Jakobsweg zu gewähren. Nun wissen sie wenigstens, was hier abgeht. Vielleicht machen sie mir jetzt nicht mehr so viel Druck. Die Temperaturen in meinen Wanderstiefeln sind wieder normal. Erfrischt geht es weiter.
Kurz vor Logroño holen wir uns einen Pilgerstempel bei einer mittlerweile sehr bekannten Señora, die vor ihrem Haus zwei Stände aufgebaut hat. Sie führt eine Tradition ihrer Mutter, Doña Felisa fort. Diese hat 30 Jahre lang, bis zu ihrem Tod im Jahre 2003 die Pilger gezählt und ihre Pässe gestempelt. Heute verkauft ihre Tochter nebenbei Pilgermuscheln und -stäbe, Andenken an den Camino und ein paar nützliche Dinge, wie zum Beispiel Sonnenhüte und -brillen. Man hat diese Spanierin auch schon im Fernsehen gesehen. In den meisten Reiseführern wird sie angekündigt. Hape Kerkeling verewigte sich seinerzeit in ihrem Gästebuch.
An diesem Ort herrscht reger Betrieb. Jeder Pilger bleibt eine kurze Weile und wechselt ein paar Worte mit ihr. Niemand geht einfach vorbei. Ich treffe ein Pärchen, das ich vor ein paar Tagen in einer Bar kennengelernt habe. Die beiden müssen sich heute voneinander verabschieden. Sie fährt nach Hause, weil sie wieder arbeiten gehen muss. Von Logroño aus geht es Richtung Heimat. Sie umarmt mich sehr innig und wünscht mir mit Tränen in den Augen einen „buen Camino“. Ich reiße mich am Riemen, um nicht mit zu weinen. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, wie es wäre, diesen Pilgerweg hier, nach 165 Kilometern Gesamtstrecke, abzubrechen. Die beiden gehen eng umschlungen, so nah ihre Rucksäcke es zulassen, bis zur Stadtmitte vor uns. Es bricht mir fast das Herz, als sie Richtung Bahnhof abbiegen.
In der Altstadt betreten wir endlich die heiß ersehnte Bar. Hinter der Theke steht ein noch sehr junger Mann. Er lässt sich wirklich übermäßig viel Zeit, bis er sich bequemt, mich wahrzunehmen. Nach einigen Minuten darf ich dann endlich einen Café con leche und ein Croissant bestellen. Er kann sich gar nicht vorstellen, was diese beiden unscheinbaren Dinge gerade für mich bedeuten. Ich bin müde, durstig und hungrig. Vor allem kann ich nicht mehr stehen. Ich muss ständig meine Füße bewegen, damit sie nicht ganz so wehtun. Hier drinnen ist es sehr laut und außerdem darf Ruddi nicht rein. Also gehe ich mit der Tasse und dem Teller raus. Auf dem riesigen Platz gibt es einige Meter von diesem Lokal entfernt ein paar Tische mit Stühlen. Ich glaube, dass diese Terrassenmöbel zu einem anderen Lokal gehören, aber das soll mir jetzt egal sein. Ich muss sitzen, es geht nicht mehr! Ich schaue mich um und sehe, dass die anderen Bars alle geschlossen haben. Das wundert mich nicht, denn jetzt ist Siesta.
Einige Zeit später kommt Ina wütend aus „unserer“ Bar und knallt ihr Getränk auf den Tisch: „Am liebsten wäre ich weiter gegangen. Es ist eine Unverschämtheit, wie lange der mich hat stehen lassen.“ Ich versuche, sie zu beruhigen und bitte sie, es gut sein zu lassen. Ich will diese wohlverdiente Pause genießen und mich nicht ärgern. Sie kommt nur langsam wieder auf Normaldrehzahl. Zu allem Übel kommt mit sehr ernster Miene die Barbesitzerin raus und will uns temperamentvoll auf Spanisch klarmachen, dass wir hier nicht sitzen dürfen. Die Tische gehören zu einem anderen Lokal. Ich kann zwar verstehen was sie sagt, aber ich will - nein! Ich muss! - genau auf diesem Platz
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