5 1/2 Wochen
trotz ihrer Situation jeden Moment des Tages mit guten Gedanken, folglich auch einem guten Gefühl lebten. Diese Kranken - oder besser gesagt Gesunden - leben sorglos in den Tag, genießen das Hier und Jetzt. Sie beschäftigen sich mit der Gesundheit und dem Glück, nicht mit der Krankheit und dem Leid. Tiefe Gefühle werden wahr, egal ob sie positiv oder negativ sind. Es lohnt sich, einmal ernsthaft darüber nachzudenken. Bedauerlicherweise haben das die wenigsten von uns gelernt.
Ich gebe diese Erfahrungen vorsichtig an Ina weiter. Manche spreche ich aus, andere schicke ich ihr in Gedanken. Sie entscheidet selbst, ob sie sie wahrnehmen will und kann. Ich will mir nicht zu viel rausnehmen und sie ungewollt verletzen.
Wir verlassen die Pension so gegen neun Uhr. Ina möchte in die gegenüberliegende Bar zum Frühstück gehen. Ich bitte sie, zuerst einmal ein Stündchen zu laufen. Schweren Herzens willigt sie ein und geht mit mir. In einem Drogerie-Markt kaufen wir uns noch Wasser, Kamellen und für Ruddi eine Schale Nassfutter. Darüber wird er sich nachher bestimmt freuen. In den letzten Tagen hat er ausschließlich „Katzenfutter aus Lorca“ bekommen.
Ich habe es versäumt, meinen Wanderführer zu lesen. Gestern Abend war ich nicht mehr in der Lage dazu. Heute Morgen habe ich vergessen, mir die Etappe näher anzusehen. Wir laufen und laufen, aber weit und breit bietet sich keine Möglichkeit mehr, einzukehren. Ich glaube, meine „Mitläuferin“ ist sauer auf mich. Es wird immer heißer. Ihr Kreislauf ist im Keller und nach ungefähr drei Stunden machen wir an einer Ruine die erste Pause. Hier stehen Tische und Bänke aus Stein. Wir freuen uns, wie ein Kind über ein gefundenes Osterei. So gemütlich hat man es als Pilger selten in der freien Wildbahn.
Jetzt erst erzählt Ina mir, dass das Frühstück normalerweise ihre erste Amtshandlung des Tages ist, weil es ihr sonst sehr schlecht geht.
„Was?“ denke ich. „Und warum sagst Du mir das nicht früher?“ Das tut mir natürlich leid, aber da komme ich doch alleine nicht drauf. Ich bin da ganz anders. Zuhause esse ich oft erst am Nachmittag das erste.
Wir machen eine ausgedehnte Pause, in der ich mir die Zeit nehme, den Wanderführer anzusehen. Voller Entsetzen lese ich, dass es von Viana bis Logroño, folglich zur nächsten Bar, fast zehn Kilometer zu bewältigen gilt. Wir haben keine Chance, vorher einen leckeren Café con leche oder Essen zu bekommen. Auf diesem Streckenabschnitt gibt es keine Dörfchen, in denen wir es uns bequem machen und ausruhen könnten. Das muss ich meiner Begleiterin jetzt schonend beibringen. Ich stottere ein bisschen rum... und dann ist es raus. Sie reagiert sehr gelassen auf diese Nachricht: „Tja, das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Ich werde es überleben. Mach Dir keine Gedanken.“ Puh, da bin ich aber nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen.
Ruddi hat das 300-Gramm-Schälchen „Ente in Aspik oder so ähnlich“ komplett leer gemacht. Zuhause bekommt er täglich nur 100 Gramm Nassfutter. Ich wollte ihm ausnahmsweise mal die Freiheit lassen, soviel zu fressen wie er für richtig hält. Das war keine gute Idee von mir. Ich hätte wissen müssen, dass er solange reinhaut bis nichts mehr da ist. Wie der Herr, so's Gscherr! Mit vollem Bauch läuft es sich schlecht. In der nächsten Stunde fühlt er sich nicht besonders gut, schleppt sich so dahin. Wäre dieser Hund ein Mensch, hätte er sicher um einen „Verteiler“ gebeten. „Armer Schatz!“ Ich würde das nicht nochmal zulassen.
Heute ist es viel zu heiß. Es wäre klüger, es den Spaniern gleichzutun und während der Mittagssonne in einer Bar Siesta zu machen. Aus bekannten Gründen ist das nicht möglich und wir gehen sehr langsam Kilometer für Kilometer weiter Richtung Logroño. Heute fällt mir das Laufen wesentlich schwerer als in den letzten Tagen. Ich fühle mich wie ein altes Auto, das zu wenig Öl hat, dessen Kühlwasser kurz vor dem Siedepunkt ist und dessen Reifen fast platt sind. Der Druckschmerz unter den Füßen ist enorm - kaum auszuhalten. Ich glaube, ich mache nie wieder mehr als 25 Kilometer am Tag. Außerdem geht mir gleich der Sprit aus - ich muss „Super- con-leche“ tanken. Anstatt uns weinend in den Armen zu liegen, ziehen wir es jedoch vor, eine Rast am Wegesrand zu machen. Das erste Mal traue ich mich, die Schuhe auszuziehen. Unglaublich was für eine Hitze daraus kommt. Ich lege meine Beine auf den abgelegten Rucksack. Es ist
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