5 1/2 Wochen
von Minute zu Minute leichter - schmerzfreier. Ich bin stolz auf mich. Gleichzeitig drängt sich mir die Frage auf: „Warum tue ich mir das alles eigentlich an? Warum wollte ich nochmal den Jakobsweg gehen?“ Sekunden später habe ich die Antwort: „Um meine körperlichen und seelischen Grenzen kennenzulernen.“ Ach, so fühlt sich das an!
Ina höre ich im Badezimmer rumoren. Sie kommt, Nebelschwaden hinter sich herziehend, halb nackt aus der Dusche. „Guten Morgen, wie geht es Dir? Hast Du gut geschlafen? Guck mal, das sind meine Narben von den Operationen. Die sind gar nicht so schlimm, oder?“ eröffnet sie ein Gespräch. Das fühlt sich so kurz nach dem Aufwachen und den soeben bewältigten massiven eigenen Problemen an wie ein Überfall. Ich schnappe nach Luft, frage mich, ob ich wirklich auf alles antworten soll. Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Fragen, bekommt sie meine Zustimmung zum Zustand ihrer OP-Narben. Ich fühle mich momentan überfordert - ja hilflos. „Sie hat also das Bedürfnis, über ihre Krankheit zu sprechen“, denke ich und höre ihr zu. Sie hat bereits seit ein paar Jahren Krebs, wurde mehrmals operiert und therapiert. Immer wieder wechseln sich krebsfreie Zeiten und erneute schlechte Diagnosen ab. Es ist schwer, mit diesem Krankheitsbild umzugehen und möglichst positiv weiterzuleben. Meiner Meinung nach entsteht Krebs durch lange gehegten Groll, tiefe Verletzungen oder Hass, den ein Mensch in sich trägt. Es können auch ein tiefes Geheimnis oder Trauer sein, die am Selbst nagen. Vielleicht empfindet man Sinnlosigkeit.
Gedanken wie „ich löse mich von allem Vergangenen und vergebe liebevoll“ sollten vorherrschen. Meine Pilgerfreundin erzählt jedoch sehr viel von ihrer insgesamt schlimmen Vergangenheit. Es ist harte Arbeit an sich selbst, damit klarzukommen. Liebevoll vergeben heißt nicht, dass man die Person oder die Situation lieben soll. Es bedeutet vielmehr, den Hass loszulassen, den Akt des Vergebens zu lieben. Es kann auch sein, dass jemand sich selbst vernachlässigt - sich selbst nicht so sehr liebt wie seinen Nächsten. Es ist aber ganz wichtig, dass man seine Welt und damit sich selbst mit Freude füllt, sich Gutes tut und wichtig nimmt - genauso wichtig wie die Menschen die man liebt. Jeder sollte sich selbst lieben lernen und nicht zu bescheiden sein. An der Liebe die uns von anderen entgegengebracht wird, erkennen wir wie stark unsere Liebe zu uns selbst ist. Es ist den anderen nicht möglich uns mehr zu lieben, als wir es selber tun.
Ich stelle mir manchmal vor, in mir wohne ein kleines, zwei oder drei Jahre altes Kind. Es trägt meinen Namen - ich bin dieses kleine Mädchen. Wenn ich es vernachlässige oder ihm Liebe vorenthalte, dann weint es und ruft nach mir: „Kümmere Dich bitte um mich. Umarme mich. Ich fühle mich so alleine! Ich habe Hunger und Durst. Ich will eine Überraschung (Kleid, Buch, Urlaub, gutes Essen usw.) haben.“ Dieses Kind guckt mich in meiner Vorstellung mit großen Augen erwartungsvoll an Es möchte verwöhnt werden und sich geliebt wissen. Durch diese Imagination fällt es mir leichter, für mich selbst gut zu sorgen. Dies umzusetzen bedarf einer gewissen Disziplin, Gedanken- und Gefühlskorrektur. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es funktioniert. Ich bleibe dran, erinnere mich wieder und wieder. Manchmal dauert es Wochen, bis ich bemerke, dass mein „inneres Kind“ nach mir ruft, fast verhungert - wie hartherzig, oder?
Ich bin davon überzeugt, dass jede Krankheit, egal wie schwer oder leicht, psychisch bedingt ist und folglich auch geistig geheilt werden kann. Jeder ist in der Lage, den Selbstheilungsprozess seines Körpers in Gang zu setzen, wenn er bereit ist, die Verantwortung für ALLES was ihn betrifft, zu übernehmen. Das ist die beste Medizin!
Ich kenne Ina zu wenig, um so direkt zu ihr zu sein. Sie setzt sich selbst herunter. Sie übt Bescheidenheit, obwohl sie es nicht müsste.
Ständig beschäftigt sie sich mit den Problemen ihrer Verwandten, Bekannten und ihrer Vergangenheit. So etwas macht ein Mensch immer aus dem gleichen Grund: So muss und kann er sich selbst nicht fühlen oder wahrnehmen.
Positives Denken und Fühlen kann dem Krebs entgegenwirken. Während meiner Zeit als Taxifahrerin habe ich mir die Krebskranken genau angesehen, ich möchte fast sagen „studiert“. Einige sind ohne Chemotherapien und Bestrahlungen gesund geworden. Es waren immer die, die sich selbst wichtig genommen haben und
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