5 1/2 Wochen
sitzen bleiben. Mein „inneres Kind jammert“.
Innerhalb von Sekunden ist in mir ein Schlachtplan entstanden, wie ich diesen kleinen Gartentisch mit seinen gemütlichen Stühlen verteidigen könnte. Ich bin zu allem bereit! Meine Augen flehen Ina an, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Mit einiger Anstrengung wird ihr Gesichtsausdruck langsam freundlicher.
Ich tue so, als hätte „die nette Bedienung“ gefragt, ob der Kaffee und das Gebäck in Ordnung sind. Also lächle ich sie dankbar an. Ich sage, angestrengt nach spanischen Vokabeln suchend, sehr liebevoll und freudestrahlend: „Mi español esta muy pequeño (wörtlich übersetzt: Mein Spanisch ist sehr klein). Todo bien! Hm, qué rico (Alles prima! Hm, wie lecker)! El tiempo esta bueno y esta plaza es la mas bonita que hay. (Das Wetter ist schön und das hier ist der schönste Platz den es gibt). Nosotros son peregrinas y estamos muy cansados (Wir sind Pilgerinnen und sind sehr erschöpft). Gracias, dass wir hier sitzen dürfen, Señora. Muchas gracias.“ Sie kann uns - Gott sei Dank - nicht widerstehen. Vielleicht ist es ihr aber auch einfach zu anstrengend mit Händen und Füßen zu reden. Jedenfalls zieht sie sich zurück. Nun kann auch Ina wieder lachen und wir gehen erst nach einer knappen Stunde weiter.
Ich bin unendlich glücklich, als wir die Stadt verlassen. Jetzt müssen wir noch durch ein Industriegebiet laufen, aber auch das nimmt ein Ende. Wir haben bis zum heutigen Etappenziel Navarrete immerhin noch 13 Kilometer vor uns. Ungefähr auf halber Strecke, in einer Parkanlage, gibt es laut meinem Reiseführer ein Bar-Restaurant. Das ist unser Magnet, der uns weiterzieht.
Wir sind überglücklich, denn dieser Streckenabschnitt ist der bisher angenehmste auf dem Camino. Er verläuft flach über „gefegte Wege“ und führt uns durch schattige Parkanlagen. Habe ich schon erwähnt, dass die Spanier ein sehr liebenswertes und hilfsbereites Volk sind? Das beweist sich in diesem Moment wieder mal. In diesem Erholungsgebiet, namens „La Grajera“, sind viele Einheimische unterwegs. Einer von ihnen kommt uns mit einem wunderschönen Bambusstock entgegen und drückt Ina im Vorbeigehen diesen in die Hand. Er sagt, soweit ich es verstehen kann: „Du schaffst den Weg nicht ohne Pilgerstab. Hier, nimm den. Buen Camino!“ Staunend und mit offenem Mund schauen wir ihm hinterher. Er dreht sich nochmal winkend um. Auf dem Jakobsweg passieren wirklich die ungewöhnlichsten Sachen. Ina freut sich und ich bin froh, dass sie ab sofort beide Hände beschäftigt hat - sie trägt nämlich immer noch ständig irgendetwas in einer Hand. Oft ist es eine Jacke und wenn sie die anhat, dann muss eine Tüte ran.
Nach ein paar Kilometern stoßen wir nach einer Wegbiegung plötzlich und vollkommen unerwartet auf einen großen Stausee. Der blaue Himmel spiegelt sich auf dem Wasser. Eltern spielen mit ihren Kindern am Strand. Manche sind mit dem Boot raus gefahren. Rund um den See ist alles saftig grün. Es stehen viele große Bäume am Ufer. Weiter entfernt, sind ein paar Reiter unterwegs. Dieser Ausblick gibt mir unendliche Energie. Ich fühle mich wie gedopt! Mein Körper ist wieder beweglicher. Die Qual hat ein Ende. Ich sauge diesen Moment regelrecht auf. Jetzt fühle ich mich stark und frei - kann wieder positiv denken.
Gut gelaunt erreichen wir die angekündigte Bar. Das sehr große Lokal ist nur dünn besetzt. Am Wochenende „steppt hier der Bär“ - garantiert. Wir werden herzlich von den Wirtsleuten empfangen. Ruddi wird freudig auf Knien begrüßt und bewundert. Das macht mein Wohlbefinden vollkommen. Wir verbringen eine gute Stunde mit viel Spaß und netten Leuten. Ich darf während dieser Zeit mein Handy hier aufladen. Das ist für den Wirt eine Selbstverständlichkeit. Mir fällt auf, dass Ina sehr oft mit ihrem Handy beschäftigt ist. Sie erhält und schreibt hunderte SMS. Unterhaltungen mit ihr sind dadurch halbherzig und anstrengend. Ich finde das schade, kann und will das aber auch nicht ändern.
Ich denke allerdings immer öfter, dass es besser wäre, alleine zu gehen. Während des Laufens komme ich oft aus dem Rhythmus, weil wir zu unterschiedlichen Zeiten stehen bleiben müssen oder wollen. Mal will sie ein Foto machen, ein anderes Mal bin ich es, die aus diesem Grund stoppt. Ich verweile, um die Landschaft zu bewundern - Ina ist fasziniert von den unterschiedlichsten Pflanzen, die sie am Wegesrand findet. Jetzt habe ich Durst - wenig später
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