5 1/2 Wochen
habe, muss ich mich wieder komplett anziehen.
Als ich mit diesem Outfit aus der Nasszelle trete, sehe ich aus, als wolle ich die nächste Etappe antreten. Oliver kommt mir mit seiner Zahnbürste entgegen und guckt mich ein bisschen verwundert an. Ich tu so, als wär nix. Mit einem Küsschen auf die Wange wünsche ich ihm eine gute Nacht.
Nach dem Duschen fühle ich mich wie neugeboren. Hermann schläft tief und fest. Ruddi krabbelt in meinen Schlafsack. Es ist sehr warm hier drin. Mein vierbeiniger Freund zieht es daher vor, sich wieder in seine Tasche zu legen. Immer wieder gehen Leute an unserer Box vorbei ins Bad. Mein Hund ist vorbildlich ruhig. Er knurrt ab und zu ganz, ganz leise - nur für mich - um die „Bad-Pilger“ anzukündigen.
Nach einiger Zeit vernehme ich die Stimmen und das Lachen meiner Freunde. Die Party im Hof ist jetzt zu Ende und jeder sucht seine Box auf. Das ist die Härteprobe für meinen Schnurzel. Es ist bewundernswert, wie er sich beherrschen kann und seine Freude darüber, die anderen zu hören, unterdrückt. Ich streichele ihn beruhigend. Nach einiger Zeit kehrt Stille in der Boxen-Herberge ein. Nur noch das Atmen der anderen ist zu hören. So langsam komme ich auch zur Ruhe. Kurz bevor ich fest einschlafe, nehme ich einen wunderschönen, ganz leisen, aber klaren Gesang wahr. Es ist Edit, die aus tiefstem Herzen, zwei oder drei Boxen von mir entfernt, ein Kirchenlied singt. Mit Tränen der Rührung in den Augen genieße ich diesen friedlichen Moment sehr. Ich kann sogar die Rest-Wut loslassen und erleichtert in das Land der Träume hinüber gleiten.
Mitten in der Nacht werde ich von einem kurzen, aber lauten Bellen wach. Ich stürze mich wie ein abgeschossener Pfeil waagerecht auf Ruddi’s Tasche. Die ist weiter weg als ich dachte. Lediglich meine Unterschenkel mit den anhängenden Füßen befinden sich noch im Bett. Das muss ein Bild für die Götter sein. Ich muss lachen, nachdem ich den Schock überwunden habe. Bei dieser Aktion ist meinem Hund nichts passiert, aber ich habe mir das Handgelenk verstaucht. In den nächsten Minuten warte ich gespannt ab, ob wir jetzt hier rausfliegen oder nicht. Darüber schlafe ich mit meinem besten Freund im Arm wieder ein.
Freitag, 25. April 2008
Azofra (328 Einwohner), 559 m üdM, La Rioja
11. Etappe bis Grañón, 22 km
Durch das rege Treiben in unserer Box und vor der Schwingtür wach geworden, sehe ich Hermann in voller Montur vor mir stehen. Er ist ausgehfertig und verabschiedet sich kurz und schmerzlos. Wir wünschen uns gegenseitig einen guten Weg und sind gespannt, ob wir uns noch einmal treffen. Die Möglichkeit besteht, denn Hermann will auch bis nach Santiago de Compostela laufen. Das ist ja doch eher außergewöhnlich. Die meisten Pilger haben gar nicht so viel Zeit, um den gesamten Jakobsweg am Stück zu gehen. Sie machen es wie zum Beispiel Achim und Oliver und gehen jedes Jahr für zwei Wochen auf den Weg.
Nun bin ich alleine, sammle mich ein paar Minuten und überlege mir, wie ich Ruddi hier wohl wieder rausschmuggeln kann. Bevor die Panik mich übermannt, gehe ich ganz kurz ins Bad zum Zähneputzen. Mehr ist nicht drin, denn Ruddi wartet in seiner geschlossenen Tasche hoffentlich ruhig auf mich. Immer wieder schicke ich ihm in Gedanken die Botschaft, auf kein Geräusch - sei es noch so spannend für ihn - Laut zu geben. Das scheint zu funktionieren. Ich höre jedenfalls keinen Ton. Nun noch schnell den Schlafsack im Rucksack verstauen und nix wie raus hier. Ich setze Ruddi in sein Notfallnetz, das ich jetzt nur am linken Karabinerhaken eingehängt habe. So kann ich ihn hinter meinem linken Arm und dem Rucksack auf dem Rücken ein bisschen verstecken. Husch, husch an der Rezeption vorbei und mit einem fröhlichen „Adiós y gracias por todo“ bin ich aus der Nummer und der Herberge raus. Ich atme tief durch als ich das Gelände verlassen habe und nach der ersten Ecke lasse ich Ruddi aus dem „Sack“.
In einer kleinen Bar nehme ich ein Frühstück in Form eines Kaffees und Croissants zu mir. Zu meiner großen Freude leisten mir Sabrina und einige andere Pilger Gesellschaft. Wir haben Spaß und freuen uns auf den bevorstehenden Tag. So kann ich den Ärger und die Belastung des letzten Tages endgültig abschütteln. Nach einer Stunde beginne ich die heutige Etappe. Was wird wohl auf mich zukommen?
Es liegen bis Cirueña knapp zehn Kilometer vor uns. Mein Schnurzel hat sich über Nacht wieder erholt und läuft munter
Weitere Kostenlose Bücher