5 1/2 Wochen
wir aufeinander. Die Wiedersehensfreude ist groß, aber kurz. Mein Pilgerfreund eröffnet mir als erstes, dass Ruddi unentdeckt bleiben muss. Wenn es nach ihm ginge, dürfte er sich im gesamten Ort nicht auf die Straße begeben. „Hier kennt jeder jeden. Der Ort ist winzig. Es gibt nur diese eine Herberge und die ist voll belegt. Hunde sind verboten. Ihr fliegt raus, wenn der Hospitalero Wind davon bekommt.“ Mein Sonnen geplagter Vierbeiner hat jedes Wort verstanden, klettert nur zu gern wieder in seine Tasche und lässt sich von Hermann tragen. Meinen Rucksack gebe ich nicht nochmal ab. Der gehört in jedem Fall auf meinen Rücken!
Ich bin am Ende meiner Kräfte. Nichts geht mehr! Die meiste Energie raubt mir die Angst vor dem vorzeitigen Ende meines Abenteuers. Einen weiteren Sonnentag übersteht Ruddi nicht. Ich hoffe, dass der Wettergott gerade Zeit für uns hat und einsieht, dass das so nicht weitergehen kann.
Auf dem Dorfplatz von Azofra stehen einige Bänke. Hermann steuert ihn zu meiner Verwunderung an. Ich traue meinen Augen nicht, als mir Mary und Lynn mit ausgebreiteten Armen entgegengelaufen kommen. Dieses Wiedersehen gibt mir augenblicklich Kraft. Aufgeregt schnattern wir in verschiedenen Sprachen, begutachten uns gegenseitig mit großen, leuchtenden, aufmerksamen Augen. Es ist unbeschreiblich, was in einem vorgeht, wenn man Pilgerfreunde trifft, die man weit voraus vermutet und mehrere Tage nicht gesehen hat. Ruddi wird von den Kanadierinnen - wie jedes Mal - zärtlich unter die Lupe genommen, geherzt und geküsst. Ganz Macho, genießt er die Situation in seinem tragbaren Appartement regungslos und völlig relaxed auf dem Rücken liegend, lediglich mit seinem Schwänzchen wackelnd.
Diesen kurzen, jedoch sehr gefühlvollen Moment unterbricht Hermann mit den Worten: „Wir müssen sofort in die Herberge! Ich habe Angst, dass unser Zimmer doch noch anderweitig vergeben wird. Du musst Dich anmelden und bezahlen. Lass Ruddi hier und beeil Dich!“ Ich bin so wütend, dass ich platzen könnte. Es ist nicht das, was er sagt, sondern wie er es sagt. Ich komme mir vor wie beim Militär.
Meine Reaktion nach außen ist sehr gelassen. In aller Ruhe spreche ich noch ein paar Sätze mit den beiden Frauen, die ich von der ersten Minute meines Caminos an kenne. Sie sind über Hermanns Verhalten sehr erstaunt, schauen mich fragend, sichtlich irritiert und kopfschüttelnd an. Sie verstehen kein Wort Deutsch, sie nehmen lediglich seine Haltung und den Tonfall war. Nach Fassung ringend und mit entglittenen Gesichtszügen bitte ich die beiden auf Englisch, meinen Hund für ein paar Minuten zu beaufsichtigen. Mary und Lynn sind sofort bereit - ach was! - sie sind begeistert. Unverzüglich, aber sehr vorsichtig, nimmt die eine die Tasche auf ihren Schoß und die andere kramt in ihrem Rucksack nach etwas Essbarem für ihr „Baby“, schüttet Wasser in ihre Hand und ist gerührt, als ihre Gaben dankbar angenommen werden. Beruhigend reden sie auf mein „krankes Häschen“ ein. „Don’t worry, go with Hermann. (Mach Dir keine Sorgen, geh mit Hermann.) We are waiting for you here. (Wir werden hier auf Dich warten.)“
Die Herberge ist etwa 100 Meter weit weg. Es ist ein Neubau - sieht ein bisschen aus wie ein Schulgebäude in Deutschland. Optisch passt das nicht in dieses kleine Dorf. Andererseits spricht einiges dafür, in einem modernen Haus zu übernachten und vor allen Dingen nach der Hitze des Tages, zu duschen. Mehr kriechend als aufrecht gehend folge ich Hermann.
Durch ein Tor betreten wir eine riesige Terrasse mit gemütlichen Gartenmöbeln. In der Mitte befindet sich ein kleiner Swimmingpool, der von großen Pflanzen umgeben ist. Hier sitzen so einige Pilger bei einem Bierchen zusammen und haben einen Riesenspaß. Ich bin ganz aus dem Häuschen, als ich Oliver und Achim unter ihnen ausfindig mache. Sie rufen mir gut gelaunt zu: „Nee, ne?! Das gibt’s doch gar nicht! Du hier? Komm, setz Dich!“ Natürlich lasse ich mich von nichts und niemandem davon abhalten, sie zu begrüßen. Sofort fällt ihnen auf, dass Ruddi fehlt. Hermann bleibt in einiger Entfernung stehen und scharrt mit den Hufen. Er ist nervös, unruhig und ungehalten.
Nach nur wenigen Sekunden werde ich zurückbeordert. Wieder dieser Befehlston! Auch hier werde ich deswegen fragend angeschaut. Ich nehme meinen General in Schutz, indem ich erkläre, dass er so nett war, für mich ein Bett zu reservieren und nun befürchtet, dass das vergeben
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