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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Kürten
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den Weg. Es ist mir zu hektisch da drin. Eine große Gruppe Fahrradpilger ist hier eingekehrt und macht ein Riesenpalaver. Ruddi ist heute gut drauf. Zwischen riesengroßen Feldern geht es auf angenehmen Landwirtschaftswegen einen Hügel hinauf. Hier oben ist die Aussicht so schön, dass ich Ruddi’s Decke auf dem Weg ausbreite und ihm noch eine zusätzliche Rast in meinem Schatten gönne. Zwei Pilger kommen nach einigen Minuten vorbei und machen sich Sorgen um mich. Weil ich mich mitten auf dem Weg niedergelassen habe und der kleine Hund bewegungslos vor mir liegt, denken sie, dass ich in Schwierigkeiten bin. Wir unterhalten uns ein bisschen und philosophieren über die Durchquerung der Montes de Oca. Ich bin der Meinung, dass ich das schon schaffen werde. Ich habe ja schließlich auch die Pyrenäen bezwungen. Da können diese beiden Pilger nicht mitreden. Sie sind erst in Pamplona gestartet. Die Männer verabschieden sich nach einem Viertelstündchen mit einem „buen camino“ und ich komme in den seltenen Genuss des Anblicks der wippenden Rucksäcke auf ihren Rücken.

    Die wenigen Kilometer bis Villafranca Montes de Oca verlaufen bergauf durch Felder und Wiesen. Kurz vor dem Ort kreuzt eine für mich „riesengroße“ Schlange meinen Trampelpfad. Ich erschrecke mich zu Tode. Ich habe noch nie die Bekanntschaft einer Schlange gemacht. Die war mindestens 50 Zentimeter lang und einen „fetten Daumen“ dick. Was jetzt? Liegt sie im hohen Gras auf der Lauer? Darf ich mich bewegen? Oder kommt sie zurück, um mich zu erwürgen und genüsslich zu verspeisen, wenn ich es wage, weiterzugehen? Bevor ich in eine Starre falle, gehe ich lieber einfach sehr zügig weiter. Mir war gar nicht klar, dass mir hier so ein Tier begegnen kann. Es dauert einen Moment, bis ich mich wieder gefangen habe und normal atmen kann.
    Ich erinnere mich daran, dass sie sich mir als Krafttier gezeigt haben könnte. Sie fordert mich also auf, mich mit meiner Lebenskraft zu beschäftigen - mehr auf die Weisheit meines Körpers zu achten. Mein Körper spricht mit mir und nutzt dazu Schmerz, Druck, Verkrampfung, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, aber auch Ausdehnung, Leichtigkeit, Freude und Entspannung. Die Schlange sagt: „Achte darauf, wie Dein Körper sich verhält. Jede Botschaft, jeder Gedanke, jedes Gefühl, jede Handlung, jedes Wort löst eine Reaktion in Deinem Körper aus. Achte darauf, wie er sich verhält. Zieht er sich zusammen? Dehnt er sich aus? Freut er sich, oder ist ihm eher nach Weinen zumute? Fühlt er sich wohl? Gehe Deinen Bauch- und Körpergefühlen nach. Finde heraus, was dir gut tut, Dir Kraft gibt und Freude bereitet. Dies sind die Ladestationen, an denen Du Dich an die Quelle der Kraft anschließen kannst.“ Wenn das so ist, dann sollte ich die heutige Etappe jetzt beenden, denn mein Bauch zieht sich zusammen, bei dem Gedanken an weitere zwölf Kilometer durch die Berge.

Gleicher Tag (insgesamt 251,6 km gelaufen)
    Villafranca Montes de Oca (191 Einwohner), 948 m ÜdM, Burgos
    Casa Rural, Doppelzimmer, 18 Euro pro Person ohne Frühstück

    Der Ort ist sehr überschaubar. Zunächst komme ich an einem riesigen Parkplatz vorbei, an dessen Ende sich einige Geschäfte und - soweit ich das aus der Feme erkennen kann - ein Restaurant befinden. Vielleicht gehe ich da heute Abend essen. Aber zuerst muss ich mal sehen, wo ich übernachten kann. Und danach, ohne Rucksack auf dem Rücken, muss ich Futternachschub für Ruddi besorgen. Es ist ja noch relativ früh, das sollte kein Problem sein.
    Direkt an der Hauptstraße ohne Bürgersteig quetsche ich mich, vor den vorbeidonnernden LKW Schutz suchend, in einer Kurve an der Hauswand entlang und falle fast in die offenstehende, sehr breite, uralte Eingangstür. Na ja, wenn ich schon mit einem Fuß drin bin, dann soll der zweite wohl auch noch hinterher. Ist das hier privat oder für die Öffentlichkeit zugänglich? Ich stehe in der ziemlich langen Diele ein wenig ratlos herum, als eine junge Frau aus einem Zimmer tritt. Bevor ich mich entschuldigen kann, begrüßt sie mich herzlich und fragt nach meinem Anliegen. Ich mache ihr klar, dass ich ein Zimmer für eine Nacht suche und sie schlägt sofort ein dickes Buch auf, schaut kurz hinein und nimmt einen Schlüssel aus der Schublade eines antiken Sekretärs. Sie bittet mich, die Treppe hinauf zu gehen. Völlig überrascht, auf diese Weise eine Unterkunft „gefunden“ zu haben, zeige ich fragend auf Ruddi, den sie bis jetzt nicht sehen

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