5 1/2 Wochen
dem Essen trinken wir ein weiteres Bier, bei dem Paul mir erzählt, dass er am 11. September 2001 in New York drei Freunde verloren hat. Sie hielten sich in den Türmen des World Trade Centers auf, als der Anschlag verübt wurde. Er weint, als er sich erinnert. Während er damals im Fernsehen das Geschehen verfolgte, bekam er die Nachricht über das wahrscheinliche Schicksal seiner Freunde per Telefon von seinen Eltern, die sich zu der Zeit in New York aufhielten. Er berichtet mir von seiner Angst, dass dort noch mehr passieren könnte und kam fast um vor Sorge um seine Eltern. Dass es seine Freunde tatsächlich getroffen hatte, erfuhr er einige Tage später. Mein Gott, muss das schockierend gewesen sein! Die ganze Welt war erschüttert über diese Anschläge. Wie verkraftet ein Mensch so eine Nachricht? Ich umarme ihn wortlos und nach einigen Minuten hat er sich wieder gefangen.
Um unsere Stimmung wieder anzuheben suche ich nach einem anderen Thema. Mir fällt meine „Shoppingtour“ vom Nachmittag wieder ein. Ich frage ihn nach seinen Spanisch-Kenntnissen. Er hat mal ein bisschen Spanisch gelernt. Prima! „Was heißt rata auf Deutsch?“ Er antwortet: „Ratte“, und sieht mich fragend an. In meinem Hirn „rattern“ die Maschinen. Wie Ratte? Was hat Ruddi’s Fressen denn mit Ratten zu tun? Ist das etwa gar kein Katzenfutter, das ich für einen einzigen Euro gekauft habe? Deswegen war das so preiswert! Haben die Frauen etwa insgeheim meinen Hund als Ratte beschimpft? Wenn die mir morgen über den Weg laufen, hau ich die um! Paul will endlich wissen, was es mit den Ratten auf sich hat. Aufgeregt und entsetzt über die Unverschämtheiten des Nachmittags erzähle ich ihm die Geschichte. Voller Mitgefühl meint er: „Ich habe schon oft gelesen und gehört, dass die Spanier keine Hunde mögen. Nimm das doch nicht so ernst. Morgen gehst Du hier weg und siehst die nie wieder.“ „Aber ich bin jetzt schon seit fast zwei Wochen auf dem Jakobsweg und bis heute Nachmittag habe ich gegenteilige Erfahrungen gemacht. Sie lieben meinen Hund und das geht auch gar nicht anders.“ Zu allem Überfluss fällt mir Lorca wieder ein und berichte Paul auch von diesem Hundefutter-Einkauf. „Ich will und kann nicht glauben, dass dieser nette Mann mich und meinen Hund hinterrücks beleidigt hat. Außerdem: Wenn man Ruddi mit einem anderen Tier vergleichen will, dann hat er die Statur einer Katze. Mit einer Ratte hat der rein gar nichts gemein.“ Ich bin zutiefst enttäuscht. Paul fragt noch einmal genauer nach dem Wortlaut und grübelt über die Sache nach. Plötzlich fängt er an zu lachen: „Du hast Dich bestimmt verhört. Katze heißt auf Spanisch ,gata´. Rata und gata kann man doch leicht verwechseln.“ Natürlich, jetzt wo er das so sagt... die haben die ganze Zeit von gata gesprochen. Niemand hat uns runter gemacht! Keine Geringere als ich selbst war es, die den Frauen draußen von „Rata“-Futter erzählt hat. Kein Wunder, dass die sich köstlich amüsiert haben. Ich werde im Nachhinein rot und schäme mich meiner schlechten Gedanken. Wow! Gut dass wir mal drüber gesprochen haben!
Mir fällt auf, dass Paul Jeans trägt. Das ist völlig untypisch für Pilger. Eine Jeans kann man nicht mal eben waschen und trocknen. Außerdem ist sie auch noch relativ unbequem und hat viel Gewicht. Paul findet es „funny“, dass mir das auffällt. Er wird täglich darauf angesprochen. Er glaubt, dass er der einzige Pilger ist, der in Jeans den Jakobsweg läuft. Darauf noch ein Bier und dann geht es ab in die Kojen. Erst als wir das Café verlassen und ich die Ruddi-Tasche öffne, merkt Paul, dass er den ganzen Abend neben einem Vierbeiner gesessen hat. Perrito hat bei all dem Trubel regungslos und ruhig in seinem „Bett“ gelegen. Mein Begleiter ist sehr von „mi rata“, wie er die völlig ahnungslose „Katze“ nun zärtlich und ganz leise nennt, angetan und begrüßt ihn liebevoll.
So erfahre ich, dass mein Hund und ich Thema sind, wenn sich die Pilger in den Bars treffen und erzählen, was sie außergewöhnliches gesehen oder erlebt haben: „Es gibt eine Frau die mit einem kleinen schwarzen Hund auf dem Weg ist.“ Ab morgen gibt es ein weiteres Thema: „Ein Mann namens Paul läuft in Jeans den Jakobsweg.“ Da werde ich höchstpersönlich für sorgen.
Paul bringt mich noch bis vor die Tür meines Casa Rural. Zum Abschied nimmt er mich sehr herzlich und ausgiebig in den Arm: „Ich möchte Dich gar nicht wieder
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