5 1/2 Wochen
bewältigen sind. Wir werden sehen!
Das deutsche Ehepaar, das am Nebentisch sitzt, verwickelt mich in ein sehr angenehmes typisches Pilgergespräch: „Läuft dieser kleine Hund etwa auch den Jakobsweg? Wie findest Du die Wegabschnitte? Verläufst Du Dich manchmal? Hast Du auch Blasen an den Füßen? Spielt Dein Körper mit? Hast Du die richtigen Sachen im Rucksack? Findest Du immer eine Übernachtungsmöglichkeit? Hast Du schon viele Leute kennengelernt? Hast Du schon außergewöhnliche Situationen erlebt?“ So tauschen sich die Pilger aus. Und das brauchen sie! Alle haben die gleichen Probleme und Wehwehchen, aber auch außergewöhnliche Erfahrungsberichte, über die der jeweils andere staunt, lacht oder weint - je nachdem. Oft werden Sachen ausgetauscht, die der eine doppelt im Rucksack hat und der andere gar nicht. Zum Beispiel braucht einer dringend eine Sicherheitsnadel, um nasse Wäsche am Rucksack aufhängen zu können und dem anderen sind die Pflaster ausgegangen. Ja! Mit solchen „Problemen“ hat das Pilgerdasein zu tun.
In unsere heitere und angenehme Unterhaltung fällt „Dagmar-die- Negative“ ein. Sie setzt sich einfach ungefragt an meinen Tisch und zwar so, dass ich meine Gesprächspartner nur noch mit Verrenkungen ansehen kann. Und sie fängt sofort an zu meckern. Okay! Ich muss mich wohl mit ihr auseinandersetzen. Es gibt ja Dinge, die einen so lange verfolgen, bis man sie abgearbeitet hat. Dann lieber sofort, damit ich dieses Kapitel beenden kann. Ich sammle mich kurz, ringe um das wirkungsvolle positive Denken und lächle sie an. Gedanken sind Energie und wenn sie ein bisschen offen dafür ist, lässt sie sich von mir anstecken. Pustekuchen! Für sie ist und bleibt alles Scheiße. Sie fährt auch heute wieder mit dem Bus weiter, die schlechten Wege will sie sich auf keinen Fall antun. Die weiß ganz schön gut Bescheid, dafür dass sie mit dem Bus über die Landstraßen fährt. Tja, was soll ich machen? Mir fällt da nichts mehr zu ein. Ich habe es versucht. Jeder ist seines Glückes Schmied! Meine Schmiede steht an einem anderen Ort und ich entschließe mich, diese bemitleidenswerte Frau sofort zu verlassen.
Innerhalb von zehn Minuten erreiche ich Belorado. Ich stelle wieder mal fest, dass ich so schnell wie möglich aus der Stadt raus will. Der Lärm der vielen Autos geht mir auf die Nerven. Zügig durchlaufe ich die engen Gassen. Hier wird an sehr vielen Stellen gebaut - auch das noch! Oder will ich einfach den Abstand zu Dagmar vergrößern?
Es hört sich an, als wäre ich in einer Großstadt unterwegs, dabei handelt es sich hier nur um ein Dorf. Irgendwie fühle ich mich fehl am Platz. Ich bin auf Einsamkeit eingestellt. Wie bei einer Schnitzeljagd tut man gut daran, ganz besonders innerhalb geschlossener Ortschaften, seine gesamte Aufmerksamkeit in das Auffinden etwaiger Camino-Wegweiser zu stecken. In der freien Landschaft fällt so ein Hinweis natürlich viel besser auf. Es ist schon nach elf Uhr als ich über die Holzbrücke des Flusses „Tirón“ laufe und damit Belorado verlasse.
Gute zwei Stunden später erreiche ich das fünf Kilometer entfernte Tosantos. Die Nationalstraße ist zwar in der Nähe, aber weit genug weg, um in Ruhe zu laufen. Der Weg ist sehr angenehm und gemäßigt. In Tosantos unterhalte ich mich kurz mit dem einen oder anderen Bauern, der mich freundlich anspricht. Ruddi und ich fallen auf dem Jakobsweg eben auf. Meine Erfahrung zeigt mir, dass die Spanier immer ganz entzückt sind von unserem Anblick. Sie rufen uns fast jedes Mal zu: „Qué buena compañía (Was für eine nette Begleitung)!“ Die meisten wollen ihn sogar streicheln.
Ganz kurz hinter Tosantos entdecke ich eine in den Berg geschlagene Felskapelle. Mein Foto muss man schon sehr genau ansehen, um sie erkennen zu können. Am besten selbst mal vorbeischauen, ne?!
In Villambistia entschließe ich mich, die Bar aufzusuchen. Heute bin ich sehr gemütlich unterwegs - dafür dass ich ungefähr 24 Kilometer geplant habe. Und dazu liegt San Juan de Ortega auch noch hinter dem Alto de la Predaja. Es gilt also die Montes de Oca zu durchqueren und auf 1150 Meter aufzusteigen, um dann über 100 Höhenmeter wieder abwärts zu laufen. Da San Juan de Ortega nur 50 Einwohner hat, ist es fraglich, ob ich dort übernachten kann. Ich sollte mir das bei einem Café con leche noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Nach einer sehr kurzen Pause in einer Bar an der Nationalstraße, mache ich mich wieder auf
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