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5 Auch Geister können sich verlieben

5 Auch Geister können sich verlieben

Titel: 5 Auch Geister können sich verlieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Cabot
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hier an.« Paul faltete vorsichtig einen uralten Zeitungsauszug auseinander und breitete ihn auf dem schiefergrauen Bettüberzug aus. Der Artikel stammte aus der Londoner Times und war mit dem 18. Juni 1952 datiert. Auf einem Foto sah man einen Mann vor einer mit Hieroglyphen übersäten Wand, die zu einem ägyptischen Grabmal zu gehören schien. Die Schlagzeile über dem Artikel lautete: SKEPTIKER HÖHNEN ÜBER ARCHÄOLOGISCHE THEORIE.
    »Der Typ auf dem Bild ist Dr. Oliver Slaski«, erklärte Paul. »Er hat Jahre gebraucht, um den Text auf der Wand von König Tutenchamuns Grab zu übersetzen. Am Ende kam er zu dem Schluss, es hätte im
alten Ägypten eine kleine Gruppe von Schamanen gegeben, die das Reich der Toten nach Belieben betreten und wieder verlassen konnten, ohne selbst zu sterben. Laut Dr. Slaski wurden diese Schamanen damals ›Wechsler‹ genannt. Weil sie von dieser Ebene des Seins in die nächste wechseln konnten. Sie wurden oft von den Familien eines Toten als Führer für die Seele des Verstorbenen angeheuert, damit diese auch wirklich an ihrem Bestimmungsort ankam und nicht ziellos herumwanderte.«
    Während Paul sprach, hatte ich mich auf sein Bett gesetzt, um das Foto besser in Augenschein nehmen zu können. Ohne den Zeitungsausschnitt hätte ich das nicht gewagt. Paul und ich, so nah beieinander, auf seinem Bett … nein, danke.
    Aber jetzt, angesichts des Artikels, nahm ich gar nicht mehr wahr, wie nahe er bei mir saß. Ich beugte mich vor, bis meine Haare über das zerknitterte, vergilbte Papier streiften.
    »Wechsler«, murmelte ich. Meine Lippen fühlten sich auf einmal merkwürdig kalt an, als hätte ich mir Lippenbalsam draufgeschmiert. Hatte ich aber nicht. »Er meinte also Mittler.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Paul.
    »Aber klar doch«, keuchte ich atemlos. Kein Wunder – mein Leben lang hatte ich mich gefragt, warum ich so anders war als alle anderen, und jetzt, auf einmal,
erfuhr ich es. Oder bekam zumindest einen wertvollen Hinweis darauf. »Natürlich meinte er Mittler, Paul! Die neunte Karte im Tarot-Spiel, der Eremit. Ein alter Mann mit einer Laterne – genau wie der Kerl da.« Ich deutete auf die Hieroglyphen. »Immer wenn ich mir die Karten legen lasse, kommt diese Karte. Der Eremit ist ein Seelenführer, der die Toten zu ihrem endgültigen Bestimmungsort begleitet. Okay, der Typ da in der Zeitung ist nicht alt, aber sie tun trotzdem dasselbe… Er muss Mittler gemeint haben, Paul.« Mir schlug das Herz bis zum Hals. Wow, das hier war echt großes Kino. Endlich ein Beweis dafür, dass es noch andere Menschen wie mich gab … Ich hatte nie zu hoffen gewagt, dass ich das mal erleben würde. Ich konnte es kaum erwarten, Pater Dominic davon zu erzählen. »Anders kann es nicht gewesen sein.«
    »Aber sie waren viel mehr als das, Suze.« Paul holte ein weiteres, dunkel verfärbtes Blatt Papier aus der Box. »Slaskis Theorie zufolge gab es im alten Ägypten durchaus solche Feld-Wald-Wiesen-Medien oder Mittler, wenn dir das besser gefällt. Aber daneben gab es eben auch diese Wechsler.« Paul musterte mich eindringlich. Wir saßen kaum einen halben Meter auseinander und beugten uns beide über den Slaski-Artikel, der zwischen uns ausgebreitet war. »Und genau das sind wir beide, Suze, du und ich. Wir sind Wechsler.«

    Da war der eisige Schauer wieder. Wie ein Stromschlag rann er mir das Rückgrat hinauf und hinunter und ließ mir die Haare zu Berge stehen. Ob es das Wort »Wechsler« gewesen war oder die Art, wie Paul es ausgesprochen hatte, keine Ahnung. Aber es ging mir auf jeden Fall durch Mark und Bein. Als hätte ich in eine Steckdose gegriffen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, wehrte ich panisch ab. »Ich bin kein Wechsler. Ich bin ein Mittler. Ich meine, wenn ich ein Wechsler wäre, hätte ich mich damals nicht exorzieren lassen müssen …«
    »Hättest du auch nicht«, unterbrach mich Paul. Im Gegensatz zu meinem schrillen Tonfall klang seine Stimme ganz ruhig und dunkel. »Du hättest aus eigener Kraft dorthin reisen und wieder zurückkommen können, einfach indem du dir den Ort bildlich vorstellst. Du könntest es jederzeit tun, selbst in dieser Sekunde.«
    Ich sah ihn blinzelnd an. Pauls Augen, die mich über den zerknitterten Slaski-Artikel hinweg fixierten, leuchteten regelrecht, beinahe wie Katzenaugen. Ich hätte nicht sagen können, ob er wirklich die Wahrheit sagte oder mich nur durcheinanderbringen wollte. Beides hätte mich bei Paul nicht überrascht. Er

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