5 Auch Geister können sich verlieben
sagte das, was ich schon die ganze Zeit hatte sagen wollen, während ich mich möglichst würdevoll entfernt hatte: »Aua! Aua! Aua!«
Blöde Schuhe. Meine Zehen waren in einem denkbar schlimmen Zustand. Keinen Meter würde ich in den Tretern mehr schaffen. Ich überlegte, ob ich sie in den Ozean schleudern sollte, was ein Kinderspiel gewesen wäre, weil der nämlich direkt unter mir lag.
Andererseits kosteten die Dinger im Laden sechshundert Mäuse. Okay, ich hatte sie zu einem Schnäppchenpreis ergattert, aber trotzdem. Der Shopaholic in mir hätte so eine Dummheit niemals zugelassen.
Also ließ ich die Schuhe am Finger baumeln und setzte meinen Weg barfuß fort, wobei ich mit Adleraugen auf etwaige Glasscherben und Giftsumach am Straßenrand achtete.
Mit einem hatte Paul recht gehabt: Bis zu mir nach
Hause waren es rund acht Kilometer. Schlimmer noch: Die nächst gelegene menschliche Siedlung, in der man mit einem Telefon rechnen konnte, von dem aus ich jemanden bitten konnte, mich abzuholen, war auch schon mehr als anderthalb Kilometer entfernt. Okay, ich hätte zu einem der riesigen Anwesen von Pauls Nachbarn gehen und dort fragen können, ob ich ihr Telefon benutzen könnte. Aber wie peinlich wäre das bitteschön gewesen? Nein, ich brauchte ein öffentliches Telefon. Und ich würde ganz bald eins auftreiben.
Mein Plan hatte nur einen einzigen Haken, und der lautete: Wetter. Nein, nicht falsch verstehen. Es war ein herrlicher Septembertag. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen.
Und genau da lag das Problem. Die Sonne brannte unbarmherzig auf den Scenic Drive herunter. Wir hatten bestimmt fünfunddreißig Grad im Schatten, obwohl die kühle Meeresbrise das Ganze etwas erträglicher machte. Aber das Pflaster unter meinen nackten Füßen konnte die Brise nicht abkühlen. Die Straße, die mir bei den ersten Schritten nach meiner Flucht aus Pauls furchtbar kaltem Haus so wunderbar warm vorgekommen war, verwandelte sich langsam, aber sicher in eine unerträglich heiße Geh-Unterlage. Spiegeleier hätte man darauf braten können.
Aber es half alles nichts. In meinen Schuhen konnte ich unmöglich laufen. Die Blasen taten nämlich noch
mehr weh als meine angesengten Fußsohlen. Wenn ein Auto vorbeigekommen wäre, hätte ich vielleicht versucht, es anzuhalten – oder auch nicht. Die missliche Lage, in die ich mich gebracht hatte, war mir einfach zu peinlich, ich hätte das alles unmöglich einem Fremden erklären können. Außerdem hätte ich bei meinem Glück bestimmt einen Serienmörder angehalten und wäre damit vom Regen – ach, wenn es nur geregnet hätte! – in die Traufe gekommen.
Also stapfte ich weiter und verfluchte mich selbst für meine Blödheit. Wie hatte ich nur so bescheuert sein können, mit zu Paul Slater zu kommen? Okay, die Sache mit den Wechslern war echt interessant gewesen. Und das mit der Seelenwanderung auch … Wenn es so etwas wirklich gab … Ich wagte kaum daran zu denken, was das bedeuten konnte. Eine Seele in den Körper eines anderen transferieren zu können.
Wechsler , dachte ich. Konzentrier dich auf dieses Wechsler-Thema. Ist besser, als über diese Seelenwanderungs-Geschichte nachzugrübeln. Oder noch schlimmer, über die Frage, wie ich mich von jemandem habe küssen lassen, dem nicht mein Herz gehört.
Vielleicht war ich angesichts von Jesses kalter Schulter nur erleichtert, zu sehen, dass mich doch noch jemand anziehend fand? Auch wenn ich diesen Jemand nicht besonders leiden konnte. Denn ich konnte Paul Slater nicht leiden. Kein bisschen. Dass ich seit Wochen
von ihm träumte – und zwar albträumte! -, war ja wohl Beweis genug dafür. Egal, wie schnell mein betrügerisches Herz gepocht hatte, als er seine Lippen auf meine gepresst hatte.
Es tat gut, sich auf dieses Thema zu konzentrieren, statt auf meine schmerzenden Füße. Hier auf dem Scenic Drive, wo ich nur die Wahl zwischen scharfkantigen Kieselsteinen und heißem Pflaster hatte, kam ich nur im Schneckentempo voran. Irgendwie empfand ich meine Qualen aber auch als die verdiente Strafe für mein Fehlverhalten. Okay, Paul hatte mich in sein Haus gelockt mit dem Versprechen, ich würde Informationen bekommen, auf die ich schon seit Langem extrem scharf war. Aber trotzdem, ich hätte widerstehen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass so Typen wie Paul immer etwas Übles im Schilde führten.
Zum Beispiel, mich zu küssen.
Was mir am meisten zu schaffen machte, war die Tatsache, dass mir in Pauls Haus eine
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