5 Auch Geister können sich verlieben
hatte – einen Mann, meine ich. Endlich, endlich löste sich anscheinend die peinliche Stimmung auf, die seit dem Kuss – jenem viel zu kurzen und doch so atemberaubenden Kuss damals – zwischen Jesse und mir herrschte. Vielleicht würde doch alles wieder ganz normal werden. Vielleicht würde Jesse begreifen, wie bescheuert er war. Und es würde ihm endlich dämmern, dass er mich brauchte. Mehr noch – dass er mich wollte.
Genauso sehr wie Paul Slater, der mir sein Begehren unmissverständlich kundgetan hatte.
Hey, träumen wird man wohl noch dürfen, oder?
Und das tat ich auch. Achtzehn selige Stunden lang träumte ich von einem Leben, in dem der Kerl, den ich liebte, meine Liebe erwiderte. Ich verdrängte alles, was mit dem Mittlertum zu tun hatte, mit Wechslern und Seelenwanderungen, mit Paul Slater und Pater Dominic, Craig und Neil Jankow. Letzteres war am einfachsten: Ich hatte Jesse gebeten, Craig im Auge zu behalten, und er war nur zu gern darauf eingegangen.
Ich will nicht lügen: Es war himmlisch. Keine Albträume, in denen ich einen langen, nebelverhangenen Flur entlanghetzte und in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen drohte. Okay, ganz so unbeschwert wie in den Zeiten vor den Kuss-Vorfällen fühlte ich mich nicht, aber es war nah dran.
Bis am nächsten Tag das Telefon läutete.
Als ich dranging, kreischte CeeCee mir sofort ins Ohr, und zwar so laut, dass ich den Hörer weghalten musste.
»Ich fasse es nicht, dass du dich ausgerechnet heute krank gemeldet hast! Heute! Wie konntest du das tun, Suze? Wir haben noch so viel zu tun für deine Kampagne!«
Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu kapieren, wovon sie redete. »Oh, du meinst die Wahl …«, stammelte ich dann. »CeeCee, also, ich …«
»Du solltest mal sehen, was Kelly alles auf die Beine
stellt. Sie verteilt Schokoriegel – Schokoriegel! -, auf denen Deine Stimme für Prescott/Slater steht! Verstehst du? Und was machst du? Du bleibst im Bett, weil dir deine Füße wehtun, wenn man deinem Bruder Glauben schenken darf.«
»Stiefbruder«, verbesserte ich sie.
»Auch egal. Suze, das kannst du mir nicht antun. Ist mir völlig wurscht, wie du es schaffst, meinetwegen schlüpf in Plüschtier-Hauspuschen oder sonst was – aber mach, dass du herkommst und deinen Charme spielen lässt!«
»CeeCee«, sagte ich. Es fiel mir schwer, mich in Jesses Anwesenheit auf sie zu konzentrieren. Während er mich berührte . Okay, er pappte mir nur neue Heftpflaster auf die Füße, aber trotzdem – ich war gnadenlos abgelenkt. »Hör mal, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich überhaupt nicht Stellvertretende …«
Aber CeeCee wollte kein Wort davon hören.
»Suze!«, brüllte sie in Adams Handy. Ich wusste, dass es Adams Handy war und dass sie mich in der Mittagspause anrief, weil ich die Schreie der Möwen im Hintergrund hörte – die versammeln sich nämlich immer zur Mittagszeit im Schulhof, in der Hoffnung, ein paar heruntergefallene Pommes zu ergattern – und dazu Adam, der sie immer weiter anstachelte. »Schlimm genug, dass Kelly ›Spatzenhirn‹ Prescott jedes Jahr aufs Neue zur Jahrgangs-Vorsitzenden gewählt
wird. Als du dich letztes Jahr als Stellvertreterin zur Verfügung gestellt hast, wurde dem Schülerrat wenigstens ein bisschen Würde verliehen. Aber wenn jetzt auch noch dieser blauäugige reiche Pinkel gewählt wird … Ich meine, der redet doch Kelly nach dem Mund. Dem ist alles egal, er wird nur das tun, was Kelly ihm sagt.«
Mit einer Sache hatte sie recht: Paul war diese Wahl völlig schnuppe. Und überhaupt die ganze Junipero Serra Mission Academy. Ich hatte zwar keine Ahnung, wofür Paul sich überhaupt interessierte, denn seine Familie oder das Mittler-Geschäft war es auch nicht. Aber sein Amt als Stellvertretender Schülerratsvorsitzender würde er garantiert nicht ernst nehmen.
»CeeCee, wirklich, es tut mir leid«, sagte ich. »Aber meine Füße sind echt im Eimer, ich kann keinen Schritt laufen. Morgen vielleicht, okay?«
»Morgen?«, quiekte CeeCee. »Die Wahl ist doch schon am Freitag! Dann haben wir nur noch einen einzigen Tag für die Kampagne!«
»Na ja, wie wär’s, wenn du statt mir kandidieren würdest?«, schlug ich vor.
»Ich?« CeeCee klang schockiert. »Erstens wurde ich nicht nominiert. Und zweitens könnte ich niemals die männlichen Wähler auf meine Seite ziehen. Sehen wir den Tatsachen doch ins Auge, Suze: Du siehst gut aus und hast Grips. Du bist die Reese Witherspoon der
Mission Academy. Ich
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