5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
waren. Das fand ich cool.“
„Die falschen?“, fragte er und runzelte die Stirn.
„Es waren Teerosen. Der junge Mann war ziemlich pedantisch. Er erklärte ihr, dass jede Blume eine eigene Bedeutung habe und er mit seinem Strauß zum Ausdruck bringen wolle, dass er sie nie vergessen würde.“
„Ah ja. Und ich dachte, das würde man mit roten Rosen tun“, antwortete er.
„Nein, die stehen für leidenschaftliche Liebe, die ein Leben lang hält, Teerosen hingegen für freundliches Erinnern.“
„Das habe ich noch nie gehört.“
„Freda wusste das auch nicht. Als er anfing, ihr einen Vortrag darüber zu halten, befürchtete ich, sie würde in die Luft gehen. Noch am selben Tag hat sie die Freundschaft beendet. Ich habe meine Cousine jedoch glühend beneidet. Rosen fand ich im Gegensatz zu gewöhnlichen Butterblumen herrlich romantisch.“
„Da bin ich anderer Meinung“, entgegnete er zu ihrer Überraschung. „Wie kannst du ihre intensive goldgelbe Farbe gewöhnlich finden?“
„Es gibt sie doch auf jeder Wiese“, wandte sie ein. „Überall kann man sie pflücken.“
„Ist etwas nur dann schön, wenn es eine Seltenheit ist? Dich könnte man zum Beispiel auch mit einer Butterblume vergleichen.“
„Das heißt, ich bin nichts Besonderes, oder?“
„Das wollte ich nicht damit sagen. Im Gegenteil, du wirkst, als wärst du aus Gold.“
Sekundenlang war sie sprachlos und blickte ihn schweigend an.
„Ich wünschte, ich könnte deine Gedanken lesen“, sagte er leise.
„Das ist gar nicht so schwierig, wie du glaubst“, erwiderte sie und versuchte zu ignorieren, wie heftig ihr das Herz klopfte.
„Das meinst du“, widersprach er ruhig. „Du hast mir vorgeworfen, die Rolle als Vater nur zu spielen und nicht aufrichtig zu sein, wenn ich etwas sage. Doch du machst es nicht anders. Du spielst die Rolle der zuverlässigen, vernünftigen Krankenschwester, die über den Dingen steht, wirklich gut.“ „Das erwartet man ja auch von mir.“
„Ich weiß es aber besser. Vergiss nicht, du hast mir einen Einblick in dein Innenleben gegeben, und das lässt sich nicht rückgängig machen.“
„Gut, das habe ich getan“, sagte sie schließlich. „Aber behalte bitte meine Geheimnisse für dich.“ „Darauf kannst du dich verlassen“, versicherte er. „Jedoch nur solange du sie nicht gegen mich verwendest.“
Sie schüttelte den Kopf, und dabei fiel ihr das lange Haar ins Gesicht. Ruggiero strich es ihr aus der Stirn und sah Polly an. Ihre verletzte, beunruhigte Miene machte ihn so betroffen, dass er scharf einatmete.
Polly nahm es wahr und verstand es völlig falsch. Er kann sagen, was er will, er ist immer noch von Sapphire besessen, dachte sie.
„Du machst dir selbst etwas vor“, erklärte sie verbittert. „Für dich ist sie nicht tot.“
„Ich habe doch gar nicht an sie gedacht.“
„Doch. Du suchst sie überall, sogar hier.“ Sie wies auf ihr Gesicht und sprang auf.
„Polly, ich … Wohin gehst du?“
Ungläubig blickte er hinter ihr her, als sie hinauslief. Vor lauter Überraschung saß er wie erstarrt da. „Los, folge ihr“, forderte ihn der Besitzer der kleinen Kaffeebar auf. „Bezahlen kannst du später.“ „Danke, Tino“, rief Ruggiero ihm zu, ehe er aufstand und auf die Straße rannte, wo er sich nach allen Seiten umsah.
Er konnte Polly nirgendwo entdecken. Innerhalb von Sekunden war sie spurlos verschwunden. Er blickte in jedes Geschäft, wandte sich in die andere Richtung, suchte weiter und hatte kein Glück. Eigentlich war es völlig unmöglich, doch sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Plötzlich empfand er das Lachen und fröhliche Geplauder um ihn herum wie Hohn. Nach einer Stunde ging er schließlich mutlos in die Kaffeebar zurück. Wahrscheinlich war Polly mit einem Taxi zur Villa zurückgefahren. Er würde zu Hause anrufen und fragen, ob sie dort war.
„Hier, das bekommst du noch von mir“, erklärte er und legte Tino einen Geldschein auf den Tresen. Auf einmal merkte er, dass der Italiener ihm zuzwinkerte und mit einer leichten Kopfbewegung in eine Ecke wies. Dort entdeckte Ruggiero eine junge blonde Frau mit einer modischen Kurzhaarfrisur, die ihn abschätzend musterte.
„Du … du …“ Ihr Anblick verschlug ihm die Sprache.
Dieses überaus schöne, elfenhafte Wesen mit den hohen Wangenknochen, die er vorher niemals bemerkt hatte, und dem langen, schlanken Hals war Polly. Vor lauter Verblüffung stand er reglos da und sah sie nur an.
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