5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
schlecht“, schlug er vor.
„Und mich durch die italienische Speisekarte hindurchzuarbeiten und alle um mich herum zum Lachen zu bringen?“
„Das ist wirklich eine schreckliche Vorstellung. Ich werde mich für einen Abend als Übersetzer zur Verfügung stellen und weiß auch schon, wohin wir fahren.“
„Das ist keine gute Idee“, entgegnete sie, denn sie wollte unbedingt vernünftig bleiben.
„Als dein Patient und Vorgesetzter kann ich über deine Arbeitszeit verfügen. Keine Widerrede.“ Sie blickte ihn nur schweigend an.
„Ärgerst du dich?“
„Wieso fragst du das?
„Weil ich vorletzte Nacht nahe daran war, … die Beherrschung zu verlieren. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass du mich gebraucht hast, und darüber habe ich mich gefreut. In dem Moment waren wir uns sehr nah, so habe ich es jedenfalls empfunden. Kannst du das nachvollziehen?“
„Ja, natürlich, aber …“
„Brian hätte kein Verständnis dafür, stimmt’s? Zugegeben, daran hätte ich denken müssen. Du hast doch nicht wirklich Angst vor mir, oder?“ Er lächelte belustigt. „Keine andere Frau kann einem Mann so gut die Grenzen aufzeigen wie du.“
„Mich an dir zu vergreifen, wäre unprofessionell“, erwiderte sie betont unbekümmert. „Du bist mein Patient.“
„Wenn ich dich beleidigt habe, erlaube ich dir zu vergessen, dass ich das bin, und mich angemessen zu bestrafen.“
„Wer ist beleidigt?“, ertönte in diesem Augenblick Hopes Stimme hinter ihnen.
„Niemand, mamma. Polly und ich haben gerade überlegt, ob wir morgen Abend ausgehen. Sie braucht mal eine Abwechslung.“
„Das finde ich auch.“
„Na bitte“, sagte Ruggiero nun an Polly gewandt. „Es ist beschlossene Sache, und ändere ja nicht deine Meinung.“
„Ich hatte doch noch gar nicht zugestimmt.“
„Meine Mutter hat für dich entschieden“, antwortete er mit einem durchtriebenen Lächeln. „Das kann sie gut.“
„Da ist sie nicht die Einzige“, erwiderte sie spöttisch. Okay, ich gehe morgen mit ihm aus, vernünftig kann ich mein ganzes Leben lang noch sein, sagte sie sich dann leicht belustigt.
10. KAPITEL
„Gehen wir wieder in das Restaurant am Hafen?“, fragte Polly, als sie am nächsten Abend den Hügel hinunterfuhren.
„Nein. Heute essen wir woanders. Du hast ja noch nicht viel von Neapel gesehen“, antwortete Ruggiero.
Die Altstadt, in die er sie wenig später führte, mit den gewundenen kopfsteingepflasterten Straßen und Gassen beeindruckte Polly sehr. Es gab keine Bürgersteige, sodass Autofahrer und Fußgänger aufeinander Rücksicht nehmen und sich gegenseitig Platz machen mussten, was erstaunlicherweise ziemlich gut funktionierte.
Das lebhafte, bunte Treiben in den engen Straßen und die vielen funkelnden Lichter waren faszinierend. All die kleinen Geschäfte und Lokale hatten bis in den späten Abend geöffnet. „In diesem Teil von Neapel fühlt man sich wie in einer anderen Welt“, erklärte Ruggiero. „Mir gefällt es hier außerordentlich gut“, erwiderte sie.
„Mir auch. Alles ist viel zwangloser und weniger hektisch als anderswo. Lass uns etwas trinken.“ Sie betraten eine kleine Kaffeebar. Der Besitzer, ein Freund von Ruggiero, begrüßte sie herzlich und führte sie zu einem Tisch am Fenster.
„Wenn ich gewusst hätte, dass wir hier landen, hätte ich etwas anderes angezogen. Ich komme mir irgendwie fehl am Platz vor in dem eleganten Seidenkleid.“
„Keine Sorge, es ist das richtige Outfit für das, was wir noch vorhaben“, versicherte er.
„Da bin ich beruhigt. Ich schaffe es nie, richtig gekleidet zu sein. Entweder sehe ich aus wie eine graue Maus oder wie ein Paradiesvogel.“
Er musste lachen, wurde jedoch sogleich wieder ernst. „Warum setzt du dich eigentlich immer herab?“
„Weil ich mich mein Leben lang an anderen gemessen habe.“
„An deiner Cousine zum Beispiel?“
„Ja. Im Vergleich zu ihr habe ich mich immer für unscheinbar und wenig attraktiv gehalten.“ Lachend fügte sie hinzu: „Einmal sagte ein Junge, er sei schrecklich verliebt in mich und wolle Blüten für mich regnen lassen. Das fand ich ganz reizend – bis sich herausstellte, dass es Butterblumen waren, die er im Park gepflückt hatte. Der arme Kerl, ich habe meine Enttäuschung an ihm ausgelassen. Ich wollte unbedingt Rosen haben, weil Freda am Tag zuvor welche von einem jungen Mann geschenkt bekommen hatte. Allerdings hat sie sich nicht darüber gefreut, sondern war beleidigt, weil es die falschen
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