5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
mich. Trotzdem wollte ich nicht, dass meine eigenen Grundsätze und Konditionierungen mir im Weg standen, bloß weil Heather die Dinge anders handhabte, als ich es getan hätte. Ich war gekommen, um mich um Ruth zu kümmern, und das würde ich auch tun.
Während ich mit Erin, der anderen Pflegerin, im dunklen Zimmer saß, begann ich Heathers Handlungsweise zu akzeptieren und zu respektieren. Sie tat, was sie tun musste, weil sie alles unternommen hatte, was in ihrer Macht stand. Jahrzehntelang hatte sie nicht nur für ihre eigene Familie gesorgt, sondern sich auch darum gekümmert, dass das Leben ihrer Mutter reibungslos verlief. Sie war inzwischen völlig erschöpft, physisch wie emotional. Sie hatte alles gegeben, was sie nur geben konnte, und wollte ihre Mutter einfach friedlich schlafend in Erinnerung behalten, so wie sie war, als Heather ging. Ich lächelte respektvoll und glaubte zu verstehen.
In den folgenden Tagen jedoch erfuhr ich im Gespräch mit Heather, dass Ruth ihrer Tochter zu verstehen gegeben hatte, es sei ihr lieber, wenn sie gehe. Heather kannte ihre Mutter gut genug, um ihre Wünsche erspüren zu können. Sie war aus Liebe gegangen– und nicht aus Furcht. In den folgenden Jahren erlebte ich solche Situationen noch öfter. Nicht jeder Sterbende will, dass seine Familie anwesend ist. Manche nehmen Abschied, während sie noch bei Bewusstsein sind, und ziehen es vor, sich ganz am Ende von Pflegern begleiten zu lassen, so dass ihre Familien sie in anderer Erinnerung behalten können.
Erin und ich unterhielten uns leise. Die Anwesenheit des Todes in diesem Zimmer war bereits zu spüren. Erin erzählte, in ihrer Familie wäre in so einem Moment der ganze Raum voll. Tanten, Onkel, Cousinen, Nachbarn und Kinder– jeder würde kommen und sich verabschieden, damit der Sterbende in Frieden gehen kann.
Wir verfielen immer wieder in Schweigen, sahen Ruth an, beobachteten sie und warteten. Die Nacht war unglaublich still, während ich Ruth in Gedanken meine ganze Liebe sandte. Erin und ich plauderten wieder ein wenig, dann verstummten wir. Das Mädchen war genau die Art Mensch, mit dem man so ein Erlebnis teilen kann– sie fühlte mit, weil es in ihrer Natur lag.
Plötzlich fuhr sie hoch. » Sie hat die Augen aufgemacht « , sagte sie. Ruth war die ganze Schicht über halb im Koma gewesen. » Sie sieht dich an. «
Ich rückte näher ans Bett und hielt Ruths Hand. » Ich bin hier, meine Liebe. Alles in Ordnung. «
Sie sah mir direkt in die Augen, und einen Moment später begann ihr Geist den Körper zu verlassen. Sie bebte kurz. Dann war es ganz still.
Im nächsten Augenblick rollten mir Tränen über die Wangen. Ich bedankte mich im Stillen bei Ruth für das, was wir geteilt hatten, sagte ihr, dass ich sie liebte, und wünschte ihr alles Gute für ihre Reise. Es war ein andächtiger Moment, voller Stille und Liebe. Während ich mit hellwachen Sinnen in diesem dunklen Zimmer stand, hielt ich mir vor Augen, was für Segnungen ich aus dieser Zeit geschöpft hatte, die ich mit Ruth hatte verbringen dürfen.
Da holte Ruths Körper plötzlich noch einmal tief Luft. Ich machte einen Satz nach hinten, fluchte und spürte, wie mir das Herz aus der Brust springen wollte. » Scheiße, Mann! « , sagte ich zu Erin.
Sie lachte. » Das ist ganz normal, Bronnie. So was kommt oft vor. «
» Na gut, danke für die Warnung « , erwiderte ich lächelnd, obwohl ich noch immer unter Schock stand. Mein Herz hämmerte wie wild, und die ganze Feierlichkeit des Augenblicks war dahin. Zögernd trat ich wieder ans Bett. » Passiert das jetzt noch mal? « , flüsterte ich.
» Kann schon sein. «
Wir warteten schweigend noch eine Minute und wagten selbst kaum zu atmen. » Sie ist fort, Erin. Ich fühle, dass sie fort ist « , sagte ich schließlich.
» Gott segne sie « , kam es von uns beiden wie aus einem Munde. Wir zogen unsere Stühle näher ans Bett und blieben eine Weile in ehrfürchtigem Schweigen und liebevollem Respekt neben Ruth sitzen. Ich musste mich auch noch ein bisschen beruhigen nach dem Riesenschrecken von eben.
Heather und meine Arbeitgeberin hatten mich um einen Anruf gebeten, wenn es so weit war, also griff ich zum Telefon. Es war ungefähr halb drei Uhr morgens. Keiner von ihnen konnte jetzt etwas unternehmen. Vorab war ich schon instruiert worden, wie ich weiter verfahren musste. Ich rief den Arzt an, der vorbeikommen und die Todesurkunde ausstellen sollte, und verständigte danach das
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