5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
den Fernseherlaufen zu sehen. Ich war froh, dass ich so problemlos allein sein konnte. Mir kamen die langen Stunden der Stille sogar sehr zupass. Es waren zwar Leute da, aber normalerweise ist das Haus eines sterbenden Menschen ein sehr friedlicher Ort.
Zumindest war das der Fall, als ich Stellas Haus in der alleengesäumten Vorstadtstraße betrat. Nicht nur, weil sie im Sterben lag– hier lebten überhaupt friedliche, sanfte Menschen. Stella hatte langes, glattes weißes Haar. Anmutig war das erste Wort, das mir in den Sinn kam, als wir uns kennenlernten, obwohl sie da ja schon krank im Bett lag. Ihr Ehemann George, der mich ganz ungezwungen willkommen hieß, war ein wunderbarer Mann.
Wenn man akzeptieren muss, dass ein Familienmitglied stirbt, bedeutet allein das schon eine enorme Umwälzung im Leben. Doch wenn diese Person in das Stadium kommt, in dem sie vierundzwanzig Stunden am Tag betreut werden muss, ist es mit dem gewohnten Leben der Familie völlig vorbei. Ihre Privatsphäre und die besonderen Momente, die zwei Menschen in ihren vier Wänden geteilt haben, sind für immer verloren.
Die Pfleger kamen und gingen, ein Schichtwechsel am Morgen und einer am Abend. Manche kamen regelmäßig, andere nur einmal, zwischen ihren eigenen regelmäßigen Patienten. Ich musste mich also auf neue Gesichter einstellen, neue Persönlichkeiten und unterschiedliche Auffassungen von Berufsethos. Innerhalb relativ kurzer Zeit wurde ich Stellas ständige Tagespflegerin. Ab und zu kam eine Gemeindeschwester vorbei und auch der Arzt, der uns Schmerzmittel brachte. Ihn sah ich im Laufe der folgenden Jahre bei vielen Kunden, ein ganz besonderer, reizender, warmherziger Mensch.
Nach der Erfahrung mit Ruth meinte meine Arbeitgeberin, ich hätte meine Sache großartig gemacht, und bot mir Spezialkurse zur Weiterbildung in Palliativpflege an, falls ich weiter auf diesem Gebiet arbeiten wollte. Ich nahm das Angebot an, weil ich spürte, dass das Leben mich vorerst in diese Richtung zog. Die Zeit und die Lernprozesse mit Ruth hatten tiefe Spuren in mir hinterlassen und den Wunsch, auf diesem Gebiet weiter zu wachsen und Erfahrungen zu sammeln.
Meine Fortbildung beinhaltete zwei Workshops. Bei einem wurde mir und den anderen Pflegern gezeigt, wie man sich die Hände richtig wusch. Der andere war eine sehr kurze Einführung ins richtige Heben. Und das war’s auch schon so ziemlich mit meiner offiziellen Ausbildung. Dann schickte mich meine Arbeitgeberin zu Stella, schärfte mir aber ein, nicht zu sagen, dass ich erst eine einzige Sterbebegleitung gemacht hatte. Sie glaubte, dass ich diesem Job gewachsen sein würde, und das glaubte ich auch.
Aufrichtigkeit war immer schon ein wichtiger Teil meines Charakters. Doch als die Familie mich nach meinen Erfahrungen fragte, log ich tatsächlich, weil ich die Stelle brauchte. Außerdem gab es neue Gesetze zu bestimmten Qualifikationen, die ich leider nicht besaß. Obwohl ich meine Fähigkeiten nicht unter Beweis stellen konnte, indem ich von früheren Fällen erzählte, wollte ich, dass Stellas Familie mir vertraute. In meinem Innersten wusste ich ja, dass ich diese Arbeit gut machen konnte, denn mehr als alles andere waren hier Behutsamkeit und Intuition gefragt. Also behauptete ich auf ihre Fragen, dass ich schon mehrere Leute gepflegt hätte. Das Lügen ging mir jedoch so gegen den Strich, dass ich danach nie wieder bei einem Patienten gelogen habe.
Stella achtete sehr auf Hygiene und wollte jeden Tag ein frisch bezogenes Bett. Aber sie war auch eine Dame mit Stil, die das Nachthemd passend zu Farbe und Muster des Bettbezugs aussuchte. George erzählte mir einmal lachend, wie er Ärger bekommen hatte, weil er die falsche Bettwäsche zu ihrem Nachthemd ausgesucht hatte. Ich lachte mit und sagte, was ich zu fast all den Familien meiner zukünftiger Patienten sagen würde: » Wenn es sie glücklich macht, dann soll sie es so haben. «
Und so stellte mir eine große, anmutige Frau, die sterbend in ihrem Nachthemd und dem dazu passenden Bettzeug lag, Fragen über mein Leben.
» Meditieren Sie? « , wollte sie wissen.
» Ja « , antwortete ich begeistert. Diese Frage hatte ich nicht erwartet.
Stella fuhr fort: » Und nach welcher Schule? « Ich sagte es ihr, und sie nickte wissend.
» Machen Sie auch Yoga? « , forschte sie weiter.
» Ja, das tu ich « , erwiderte ich, » aber leider nicht so oft, wie ich gern möchte. «
» Meditieren Sie täglich? «
» Ja, zweimal am Tag. «
Ich
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