5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
nicht mehr angestrengt hatte, jede Chance genommen, irgendetwas zu verbessern oder zu verändern. Scheitern hatte ja überhaupt nichts damit zu tun, ob ihm etwas gelungen oder misslungen wäre. Allein der Versuch, einmal etwas anderes zu machen, wäre ein Erfolg gewesen. Anthonys größtes Versagen lag darin, dass er ein absolutes Produkt seiner Umwelt geworden war, überhaupt keinen Wunsch mehr hatte, sich Herausforderungen zu stellen und damit sein Leben zu verbessern. Was für eine Verschwendung– er war so ein guter, intelligenter Mensch, geboren mit so vielen Talenten.
Ich dachte mir also, wenn wir alle, ich eingeschlossen, das Produkt unserer Umgebung werden, dann sollte ich mir von nun an mein Umfeld sorgfältig aussuchen. Es musste eines sein, das der Richtung entsprach, in der ich mein Leben führen wollte. Es erforderte immer noch genug Mut, so zu leben, wie ich wollte. Aber dieses neue Bewusstsein der potenziellen Effekte der Umwelt würde meinen Weg einfacher machen.
Und so achtete ich wieder viel mehr– ganz bewusst und mit neuem Mut– darauf, wie ich mir mein Leben einrichtete, und auf die Kraft, die in der freien Willensentscheidung liegt.
Selbst gemachte Fesseln
Nicht alle Beziehungen zu meinen Patienten begannen positiv. Während ich zum Großteil mit sterbenden Menschen arbeitete, pflegte ich auch solche mit psychischen Krankheiten. Da ich einen positiven, beruhigenden Effekt auf ein paar andere Kurzzeitpatienten gehabt hatte, gab man mir nun auch ein paar schwerere Fälle. Man macht keine Erfahrung im Leben umsonst. In meiner Vergangenheit hatte ich es mehr als einmal mit irrationalem Verhalten zu tun gehabt, und das schien mir jetzt beim Umgang mit schwierigen Menschen zu helfen.
Die meiste Zeit brachten mich solche anspruchsvollen Patienten nicht allzu sehr aus der Fassung. Ich sage » die meiste Zeit « – aber nicht immer. Manche Patienten konnte meine Ruhe überhaupt nicht beschwichtigen, egal, was ich versuchte. Eines Tages kam ich vor einem prächtigen Anwesen an, sicherlich eines der schönsten der ganzen Stadt, und mir kamen all die Warnungen vor der Dame in den Sinn, die hier wohnte. Florence wollte um nichts in der Welt zugeben, dass sie Pflege brauchte. Das war an sich nichts Neues. Viele ältere Menschen sträuben sich zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so unabhängig sind wie früher. Es fällt ihnen nicht immer leicht zuzugeben, dass es so weit ist.
Auf die Verrückte, die mich laut kreischend mit einem Besen die Auffahrt wieder hinunterjagte, war ich allerdings nicht gefasst. Ihr Haar war seit wer weiß wie langer Zeit nicht mehr gepflegt worden. Die Fingernägel waren voller Dreck oder wahrscheinlich noch Schlimmerem. Sie trug zwar nur einen Pantoffel, aber mit einem Aschenputtel hatte sie wirklich nichts gemeinsam. Außerdem sah es so aus, als hätte sie seit mindestens einem Jahr ihr Kleid nicht mehr gewechselt.
» Raus hier! Runter von meinem Grundstück! « , schrie sie. » Sonst bring ich Sie um. Runter von meinem Grundstück. Sie sind doch genau wie die anderen. Raus, oder ich bring Sie um. «
Der Besen zischte durch die Luft und verfehlte mich nur knapp. Tja, ich kann ja so einiges aushalten im Leben, aber ich bin nicht dumm. Und ein Märtyrer auch nicht. Ich versuchte, Florence zu beschwichtigen, aber meine Worte stießen auf taube Ohren, und da sie drohte, mit dem Besen meine Windschutzscheibe zu zertrümmern, gab ich jeden Versuch auf, sie zu überzeugen. » Okay, okay « , sagte ich. » Ich gehe schon, Florence. Ist okay. « Sie stand am Ende ihrer Auffahrt und sah mir mit wilden Blicken nach, den Besen immer noch fest umklammert, um ihr Territorium zu verteidigen.
Im Davonfahren sah ich dieses Bild noch eine ganze Weile im Rückspiegel. Die Frau rührte sich keinen Zentimeter. Wenngleich die Szene für einen Außenstehenden sicher lustig ausgesehen hätte, empfand ich doch auch Mitleid für sie. Ich fragte mich, wer sie einmal gewesen war, was sie für ein Leben geführt hatte und was sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war.
Einen Monat später wurden meine Fragen beantwortet, als man mich nämlich wieder zur selben Adresse schickte. Seit dem letzten Mal war Florence offenbar unter Zwang sediert worden. Ich mochte es mir gar nicht vorstellen, was für eine Angst sie gehabt haben muss. Aber nach vier Wochen in einem Kurzzeitheim für psychisch Kranke ging es ihr jetzt viel besser. Die Ärzte waren sehr zufrieden damit, wie sie auf ihre Medikamente
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