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5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

Titel: 5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: e-book LYX
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in ihren Ohren rauschte im schnellen Rhythmus ihres Herzschlags und übertönte beinahe alle anderen Geräusche.
    »L é once, wo ist Alexandre?«, stieß Jacques hervor.
    »Er ist tot. Der Verräter hat ihn geköpft«, sagte der Neuankömmling, den Jacques mit L é once angesprochen hatte. Er überragte die anderen um beinahe eine Kopflänge. »Evrèl ist allerdings entkommen.«
    »Merde!« Jacques’ Stimme war so von Hass erfüllt, dass Émine kaum zu glauben imstande war, dass es sich um denselben Mann handelte, der sich jahrelang um ihr Wohlergehen gekümmert hatte. »Wir hätten besser ihn anstelle des Grafen töten sollen. Es wimmelt von Verrätern unter uns.«
    Unvermittelt stieß Jacques Émine nach vorn, sodass sie stolperte und auf die Knie fiel. Er setzte nach, riss unsanft an ihren Haaren und zerrte sie in die Mitte des seltsamen Kreidesymbols. Émines Blick haftete an seinen Händen, die jetzt auf ihren Schultern direkt neben ihrem Gesicht ruhten. Seine Haut teilte sich, und die Spitze je einer knorrigen braunen Kralle schob sich aus seinen Handrücken. Langsam wuchsen sie zu einer Größe an, die seine Finger mindestens um das Dreifache überragte. Aus direkter Nähe betrachtet, waren sie noch unansehnlicher und furchterregender.
    »Armain, hast du den Kelch?«, fragte Jacques an einen seiner Artgenossen gerichtet. Der Angesprochene kramte daraufhin in der Innentasche seines Mantels, wobei ihn seine Klaue deutlich behinderte, und förderte ein kleines silbernes Gefäß zutage, das alt und angelaufen aussah.
    »Und wo ist das Dokument?« Jacques’ Blick zuckte von einem Mann zum nächsten. »G é rard, hast du es? Heute Nacht darf uns kein Fehler unterlaufen.«
    Der Mann mit dem schütteren Haar trat einen Schritt nach vorn und zog ein vergilbtes Stück Papier aus seiner Hosentasche. »Hier ist es, ich habe es sicher verwahrt.«
    »Sehr gut«, zischte Jacques. »Armain, komm mit dem Kelch her. G é rard, fang bitte an zu lesen.«
    Émine trat nach hinten aus, traf jedoch nur Luft. »Lasst mich gehen, bitte! Jacques, was habt ihr mit mir vor?« Ihre Stimme kippte. Sie fühlte sich, als flösse eiskaltes Wasser durch ihre Eingeweide. Jacques fasste abermals in ihre Haare und riss ihren Kopf zurück. Als er antwortete, war seine Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern neben ihrem Ohr. »Ich habe vor einigen Wochen etwas Wundervolles in den alten Schriften gefunden. Etwas, das uns Asraviri das zum Verfall verdammte Leben retten wird. Dein geliebter Evrèl hat nicht eine Sekunde lang gezögert, bei unserem Vorhaben mitzumachen.« Er betonte seinen Namen bewusst abfällig, seine Stimme troff vor Abscheu.
    »Weshalb tust du mir das an?« Ein Schwall heißer Tränen rann Émines Wangen hinab. Jacques antwortete nicht, sondern drückte sie zu Boden und stellte sich bedrohlich über sie, eine Hand noch immer fest in ihre Haare gekrallt. Mit der Klaue seiner freien Hand näherte er sich ihrem Hals. In Todesangst stieß sie einen Schrei aus und schlug mit den Fäusten nach ihrem Peiniger, doch ebenso gut hätte sie versuchen können, mit bloßen Händen einen mannsgroßen Felsen zu bewegen. Jacques ließ sich von ihren Schlägen nicht beeindrucken. Mit einem Kopfnicken wies er seinen Artgenossen an, den Kelch an Émines Hals zu halten. In Erwartung des Todes schloss sie die Augen.
    Sie vernahm einen dumpfen Aufschlag, als sei etwas Schweres auf das Dach gefallen. Im nächsten Moment lockerte sich Jacques’ Griff jäh, dann stieß er ein Keuchen aus. Als Émine die Augen öffnete, war Jacques bereits einen Schritt zurückgetaumelt. Er fasste sich mit einer seiner klauenbewehrten Hände an die Schulter. Sein Hemd war an dieser Stelle aufgeschlitzt, Blut quoll aus der Schnittwunde hervor. Émine riss den Kopf herum und fing einen flüchtigen Blick von Evrèl ein, der mit erhobenen Krallen vor ihr stand. Armain machte einen Satz nach hinten, der Kelch fiel scheppernd zu Boden. Émine folgerte, dass Evrèl vom Ast der alten Eiche aus aufs Dach gesprungen sein musste. Sie spürte eine seltsame Mischung aus Freude und Entsetzen über sein plötzliches Auftauchen. Ihr Herz drohte zu zerspringen, sie rang nach Atem. »Evrèl«, presste sie hervor, wobei ein Schluchzen ihre Stimme brechen ließ. Sie zwang sich, ihn direkt anzusehen. Er war groß, seine Schultern übermenschlich breit und sein Gesicht hassverzerrt. Quer über seine Brust verlief eine Schnittwunde, die sein Hemd rot gefärbt hatte.
    Jules, der junge

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