5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
sich gegenseitig. Bis niemand mehr übrig war. Danach löste sich der Menschenbund auf. Sie hatten, was sie wollten: ihren Frieden vor den machthungrigen Herrschern. Doch zu welchem Preis?«
Es war ganz still.
»2018 gab es einen ähnlichen Fall in Amerika. Eine Gruppe von jungen Männern, die sich die ›Nazis der Zukunft‹ nannten, töteten ein paar Rehgestaltwandler.Auch damals brachten sie ihre Opfer mit rituellen Schnitten ums Leben, nur weil sie waren, was sie nun mal sind: anders, stärker. Sie töteten sie aus dem einfachen Grund, weil sie Gestaltwandler waren, genau wie meine Tochter«, berichtet Andreas, der Vater von Anna, äußerlich gefasst, doch in seinen Worten liegt Hass. Purer Hass.
»Bist du dir ganz sicher, Lana?«, fragt Keenan noch einmal und sieht mich eindringlich an.
»Ich müsste die Schnitte auf den Leichen sehen, aber eigentlich ja.«
»Das wäre ja noch schöner – unser Rudel wird bedroht von ein paar mickrigen Menschen.« Ich höre ihm an, dass es in ihm brodelt vor Zorn und Hass auf die, die sein Rudel angegriffen haben.
»Und genau das ist das Problem. Wir haben die Menschen überhaupt nicht als Täter in Betracht gezogen. Wir haben diese ›mickrigen Menschen‹ unterschätzt und fast die Falschen dafür zur Verantwortung gezogen.«
Das Alphatier der Eulen tritt vor und streckt mir die Hand entgegen: »Frauen waren schon immer besonnener als Männer.« Er lächelt mich an. Seine Augen sind von dem gleichen Grau wie seine Haare. »Mein Name ist Noah.«
Ich will seine Hand ergreifen, doch Keenan hält mich fest. Besitzergreifend blickt er mir ins Gesicht. In seinen Augen spiegelt sich sein Leopard. Dann stellt er sich vor mich und sieht Noah an. »Du fasst sie nicht an.« Nur mit Mühe hält er seine Raubkatze zurück.
Noah zieht seine Hand zurück und macht einen Schritt rückwärts.
»Ich heiße Lana«, sage ich an Keenans Rücken vorbei.
»Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.« Noahs Augen sehe ich an, dass er sofort versteht. »Du hast eine sehr mutige und kluge Gefährtin.«
»Weiß ich«, schnauzt Keenan zurück. Seine Antwort sollte mir eigentlich nichts bedeuten – und doch wärmt sie mein Herz.
Nun ergreift Elias das Wort. »Lana wird die Schnitte untersuchen. Falls es stimmt, was sie sagt, entschuldige ich mich für das unangebrachte Eindringen in euer Revier. Doch falls sie sich irrt, seid ihr tot.« Die Drohung hängt in der Luft. Noah sagt nichts mehr, er wartet, dass wir aus seinem Revier verschwinden. Ich hebe das Buch auf und nicke den Eulen noch einmal zu. Noah verbeugt sich leicht vor mir. Ich möchte ihm zulächeln, doch bekomme keine Gelegenheit mehr dazu. Keenan packt mich an der Hüfte und wirft mich über die Schulter, wobei er aufpasst, dass auch nichts zu sehen ist und das T-Shirt richtig sitzt. Dann rennt er los.
Der Wind prallt auf meine nackten Beine und meine Haare wehen wild. Ich bin wütend und sauer, dass er so roh mit mir umgeht, doch einem Teil von mir gefällt es auch. Meine Katze mag es, so behandelt zu werden, denn dadurch wird der Unterschied zwischen Mann und Frau deutlicher, und das erregt sie. Mein Unterleib spannt sich an. Ein paar Meter nach der Grenze unseres Territoriums lässt er mich wieder herunter.
Ich lande sanft auf den Füßen. Unter meinen nackten Zehen spüre ich den Waldboden. Das Gras, das Moos, die kleinen Äste. Ich sehe Keenan mit zusammengekniffenen Augen an. »Was sollte das jetzt bitte?«
»Was das sollte, verdammt? Du fragst wirklich, was das sollte?« Keenan brüllt. So laut, dass es in meinen Knochen vibriert und ich zusammenzucke. Selbst die Vögel in den Baumkronen ergreifen die Flucht. Wieder und wieder brüllt er. Wirft den Kopf in den Nacken und lässt seiner Wut freien Lauf, bis nichts Menschliches mehr in seinem Brüllen zu erkennen ist. Ich sehe, wie sich die Haare auf seinem Arm aufstellen und länger werden. Er ist kurz davor, sich zu wandeln.
»Ich weiß nicht, wieso du dich so aufregst. Ich wollte nur verhindern, dass ihr euch gegenseitig an die Gurgel geht!« Auch meine Raubkatze wird stärker. Ich spüre, wie meine Zähne länger werden und ich fauche. Meine Sicht verändert sich, wird schärfer. Auch Keenans Pupillen werden zu Schlitzen, und die dunkelbraune Iris färbt sich tiefschwarz.
»Du sollst nichts verhindern. Du solltest überhaupt nicht dort sein!« Wieder ein tiefes und lautes Brüllen. »In einem fremden Revier. Sie hätten dich töten können und ich hätte nichts
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