5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
schließe die Augen. Bete, dass sie mich finden und …
Ein harter Schlag in meinen Bauch holt mich zurück in die Realität. Geschockt sehe ich den Mann an.
»Ich mag es nicht, wenn man mir nicht zuhört.«
Erst nach ein paar Sekunden finde ich meine Stimme wieder. »Warum? Warum musste sie sterben?«
Der Mann wirft den Lappen auf den Boden: »Warum?«, ruft er laut. »Weil ihr Missgeburten seid. Eine Plage, von der wir die Welt und die Menschheit befreien werden. Monster, die wir zur Schlachtbank führen.«
»Die einzigen Monster, die ich hier sehe, seid ihr selbst.« Ein weiterer Schlag, dieses Mal auf meine Rippen. Alles um mich herum wird schwarz. Nur knapp entgehe ich der Bewusstlosigkeit. Keuchend komme ich wieder zu Atem und sehe ihn wütend an.
»Noch bei Bewusstsein«, sagt er. »Eine Kämpferin. Eine wunderschöne Kämpferin. Du bist etwas Besonderes. Wenn ich könnte, würde ich dich ganz für mich alleine behalten. Doch die Regeln hier sind sehr streng.« Lüstern streckt er die Finger auf meinem Bauch aus. Und nun laufen mir doch Tränen über die Wangen. Den Mistkerl macht es an, mich zu schlagen und gefesselt vor sich zu haben. Sosehr er unsere Rasse auch hasst, die Erregung ist ihm anzusehen. Seinen widerlichen gelben Augen.
»Ich werde dir niemals gehören. Niemals.«
Wütend rümpft der Mann die Nase und reißt die Augen auf.
Ich rede weiter. »Die anderen werden bald kommen, um mich zu schlagen und aufzuschneiden. Du wirst wieder einmal nur zuschauen dürfen. Genauso wie bei Gabrielle.«
Ich habe geraten, doch offensichtlich ins Schwarze getroffen. Die Wut in seinen Augen steigt ins Unermessliche. Ein weiteres Mal holt er aus. Doch dabei bleibt es nicht. Zornig läuft er durchs Zimmer. Verschwindet wieder aus meinem Blickfeld. Trotz meines lauten, angestrengten Atmens höre ich, wie er einen Schrank öffnet und etwas herausholt. Als er schließlich zurückkehrt, erkenne ich, dass es falsch war, ihn zu provozieren.
Ein Dolch liegt in seiner Hand. Seine Augen sind weit aufgerissen. Der Wahnsinn zeigt sich jetzt auch äußerlich. Mit der scharfen Spitze kratzt er über die empfindliche Haut meines Unterleibs. Ich mache keinen Laut.
»Ich werde das erste Ritual schon einmal alleine beginnen«, erklärt er mir, bevor er den Dolch mit beiden Händen nimmt und ihn mir in die rechte Seite des Bauchs rammt.
Ein Schrei löst sich von meinen Lippen. Mein Blut spritzt mir warm auf den Bauch, auf die Beine, auf die Brust. Keuchend versuche ich weiterzuatmen. Doch die Luft, die ich einsauge, stillt mein Verlangen nicht. Immer wieder wird mir schwarz vor Augen.
Dann höre ich lautes Gerumpel und Schreie. Zuerst denke ich, dass ich es bin, die schreit. Doch schon bald erkenne ich, dass die Geräusche weiter weg sind und nicht von mir stammen. Ein dumpfes Gefühl überkommt mich. Benommenheit. Der Schmerz vergeht, doch durch den Blutverlust fühle ich mich wie gelähmt und schaffe es kaum, den Kopf zu heben. Voller Angst suche ich nach dem Mann, der mir den Dolch in den Bauch gerammt hat.
Erst steht er wie angewurzelt da, doch schon im nächsten Moment rennt er los, um die Tür abzuschließen. »Ich werde nicht einfach so sterben. Nein!«, ruft er, nun völlig außer sich.
»Was ist … « Ich schaffe es nicht, die Frage zu Ende zu sprechen. Doch in mir regt sich die Hoffnung auf Rettung. Keenan!
Die Schreie und die Rufe von draußen werden leiser. Bis sie ganz verstummen. Der Mann läuft verzweifelt neben mir auf und ab. Immer noch den Dolch in der Hand, mit dem er mich gestochen hat. Nun ertönen Rufe vor der Tür. Tritte gegen das Holz halten mich wach, obwohl ich immer wieder im Dunkeln zu versinken drohe. Dann eine mir bekannte Stimme. Doch ich kann sie nicht zuordnen.
Auf einmal setzt mein Gehör aus. Alles wird still, mein Blick verschwimmt. Etwas Kaltes an meinem Hals lässt mich noch einmal aufschrecken. Der gelbäugige Mann hat sich über mich gebeugt und hält mir das Messer an die Kehle. »Ich werde nicht alleine sterben.« Doch bevor er beenden kann, was er angefangen hat, wird er von mir weggezerrt.
Ich atme schwer aus. Und das Letzte, was ich sehe, bevor ich ins Nichts gleite, ist Keenans Gesicht.
12
Sie liegt auf einem Bett aus Gras und Moos. Die Sonne glitzert auf ihrem Fell. Und ich frage mich zum hundertsten Mal, wie ich es bloß so lange ausgehalten habe, mich von ihr fernzuhalten. Wie ich ohne ihre Berührungen, ohne ihre warme Haut auf meiner überlebt habe.
Leise
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