5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
sie jedes verdammte Lagerhaus in – « Sie hustet angestrengt, redet dann aber weiter. »– in München durchsuchen müssten, um uns zu finden. Das dauert viel zu lange. Bis dahin bin ich schon lange tot, und du liegst als Nächste hier auf dem Tisch.« Sie hechelt. Sie muss schlecht Luft bekommen. Angst ergreift mich, hier unten alleine eingesperrt zu sein, und Mitgefühl, dass ihr Leben bald zu Ende geht.
»Du darfst nicht sterben. Das darfst du diesen Mistkerlen nicht gönnen. Hast du gehört?«
Statt zu antworten fängt die blutende Frau auf dem Tisch an, leise zu weinen, und fragt: »Aus welchem Rudel kommst du?«
»Aus dem Rudel der schwarzen Leoparden. Und du aus dem der blauen Eulen. Und sie werden uns gemeinsam finden. Du wirst leben, haben wir uns verstanden?«
Ein Keuchen, dann ersticktes Husten: »Feuer unterm Hintern hast du ja. Sie werden es nicht leicht mit dir haben.«
Toms Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge. Sein Zorn und sein Schmerz. Er hat die Liebe seines Lebens verloren und es doch überstanden. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker, sage ich mir immer. Dann wende ich mich erneut der Frau zu. »Wie heißt du?«
»Gabrielle«, sagt sie. »Und du?«
Ich komme nicht mehr dazu, zu antworten, denn die Tür wird aufgerissen und das Licht angeschaltet. Die Helligkeit sticht schmerzhaft in meine Augen, und ich kneife sie fest zusammen. Viel zu lange brauche ich, bevor ich sie wieder aufreißen kann. Doch als es mir endlich gelingt, sehe ich sie. Die Gestalten in dunklen Roben. Mindestens fünfzehn. Aber da ich über mir Schritte höre und Gelächter, vermute ich, dass es noch mehr von ihnen gibt.
Eine der Gestalten schließt die Tür, während die anderen Kerzen anzünden. Dann machen sie das Licht aus und bilden einen Kreis um Gabrielle. Ich erinnere mich an den Wortlaut des Buches Tausend Tode und ahne, was jetzt kommt. Wütend rapple ich mich wieder auf und schreie: »Hört auf, verdammt! Ihr habt kein Recht, sie zu töten.«
Sie fahren fort, als hätte ich nichts gesagt. Einer der fünfzehn schreitet in die Mitte des Kreises und schlägt ein Buch auf. Breitbeinig bringt er sich vor Gabrielle in Stellung, das Buch mit beiden Händen erhoben. Dann fängt die Gestalt an zu reden. Die Stimme ist dunkel und rau. »Liebe Brüder und Schwestern. Wir sind heute hier … «
»Nein! Hört sofort auf!«, schreie ich zornig. Nicht sehr sicher, dazu habe ich zu viel Angst. Doch ich werde sie nicht einfach sterben lassen.
Der Mann in der Mitte gibt einer der Gestalten ein Zeichen. Diese kommt auf meinen Käfig zu. Mit einem Schlüssel in der Hand.
Das ist meine Chance, denke ich und weiche in die Ecke zurück. Aber er schließt nicht meinen Käfig, sondern einen Schrank auf, holt ein eisernes Gerät heraus und tritt dann an mein Gefängnis. Das eiserne Ding sieht wie ein Maulkorb aus, und mein Verdacht bestätigt sich, als eine zweite Gestalt dazutritt und meinen Käfig öffnet.
»Jetzt oder nie«, sage ich laut und renne mit voller Wucht auf die beiden zu. Doch das Betäubungsmittel hat mich mehr geschwächt, als ich angenommen hatte. Es ist ein Leichtes für sie, mich zu Boden zu ringen und mir das Gerät um den Mund zu schnallen.
Das Ganze muss nur ein paar Minuten gedauert haben. Als sie fertig sind, schließen sie die Türe wieder ab und treten zurück an den Kreis. Wimmernd drücke ich mich in die Ecke und sehe zu, wie sie das Ritual zu Ende bringen.
Gabrielle muss in der Zwischenzeit zu sich gekommen sein, denn sie reißt stöhnend an den Fesseln an ihren Armen und Beinen. Die Gestalten nehmen sich gegenseitig an den Händen und erheben sie, während der Mann in der Mitte etwas in einer Sprache vorliest, die ich nicht verstehe. Sie fangen an zu singen. Ich halte mir die Ohren zu und sehne mich nach der Stille und der Dunkelheit von vorhin. Aber ihre Stimmen werden immer lauter, so laut, dass ich irgendwann die Hände sinken lasse, weil ich sie trotzdem noch höre. Nach ein paar Minuten treten zwei der Personen aus dem Kreis in die Mitte und ergreifen Gabrielles Arme.
Ihr Weinen höre ich selbst durch den Gesang hindurch. Auch ich fange an zu weinen. Ich fühle mich schuldig, weil ich ihr nicht helfen kann. Sie drehen ihre Arme so, dass die Handflächen zum Himmel zeigen, ziehen zwei Messer aus ihren Umhängen und legen die Klingen auf ihre Pulsadern.
Die Stimmen schwellen noch einmal an, und ich krieche an die Gitterstäbe
Weitere Kostenlose Bücher