5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Namen und blieb am letzten hängen. Noah Callahan. Das hier war sein Grab. Das Grab seiner Familie. Die Jahreszahl neben seinem Namen sprang mir ins Auge. Das Ganze war achtzehn Jahre her.
»Ich bin als Kind ertrunken«, sagte er nach einem Moment mit belegter Stimme. »Hier sind auch meine Großeltern und mein Bruder begraben. Meine Eltern leben noch.«
Ergriffen starrte ich Noah an, während es in meinem Kopf arbeitete. Er war mit zehn Jahren gestorben? Lange bevor sein Leben richtig begonnen hatte, hatte es ein gewaltsames Ende gefunden. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie sacht.
»Hast du noch Kontakt zu ihnen?«
Er schüttelte den Kopf. »Wenn es so wäre, würde es mir wie den anderen ergehen. Früher oder später würde ich daran sterben.« Jetzt sah er mich an, und ich fragte mich, ob er mich durchschaut hatte und genau wusste, welch eine Entscheidung ich eben getroffen hatte.
»Wir können keine zwei Leben führen, Kara«, sagte er leise. »Es hat einen Grund, warum wir das alte Leben abschließen müssen. Nur so können wir ein neues beginnen.«
Seine Worte machten erschreckend viel Sinn. Aber es änderte nichts an meinem Entschluss. Und offensichtlich hatte auch er nicht alles vergessen. Wie war das möglich?
»Kannst du dich deswegen noch an dein altes Leben erinnern? Weil du als Kind gestorben bist?«, hakte ich behutsam nach.
Noah blickte auf unsere Hände hinab, genau in dem Moment, als unsere Finger sich so selbstverständlich verschränkten, als hätten sie schon immer zusammengehört.
»Als Kind hat man noch nicht so viele Erinnerungen, die es zu vergessen gilt. Außerdem war ich der Erste, der zurückgeschickt wurde. Damals schien es mir ein guter Handel zu sein, ein paar meiner Erinnerungen behalten zu dürfen und dafür anderen Zurückgesandten zu helfen.« Ein trauriges Lächeln glitt über sein Gesicht, doch der Schatten um seine Augen blieb. Mit einer Hand strich ich zärtlich über seine Wange, um die Dunkelheit aus seinem Blick zu vertreiben. Er griff nach meiner Hand, um einen Kuss auf mein Handgelenk zu setzen. Genau an die Stelle, an der wir dieselbe Art von Narbe trugen.
Wieder hatte ich das Gefühl von klarem Wasser, das Noah vom ersten Moment an in mir ausgelöst hatte. Es spülte über mich hinweg, drang in mich ein und legte sich auf jede noch so kleine Wunde, jede Narbe, die mir das Leben geschlagen hatte.
»Lass uns gehen«, flüsterte ich bewegt.
10
Das Wasser im Topf gluckerte leise vor sich hin. Noah beugte sich über den Herd, stellte die Temperatur etwas niedriger ein und gab die Pasta in den Topf. Gleich darauf hatte er wieder das Messer in der Hand und schnitt den Basilikum klein.
Ich lehnte am Küchentresen und beobachtete ihn. Zu meiner Überraschung konnte er tatsächlich kochen, und es schien ihm sogar Spaß zu machen. Hin und wieder warf er mir einen liebevollen Blick zu, während er vom Kühlschrank zum Schneidebrett, zum Tisch und wieder zum Herd ging. Anfangs hatte ich ihm noch gesagt, wo er alles in meiner Küche finden konnte, doch inzwischen schwieg ich. Noah fand sich bestens selbst zurecht, schien sich sogar schon ziemlich heimisch zu fühlen, während mir von Minute zu Minute alles fremder wurde.
Er reichte mir ein Glas Wasser, das ich dankbar annahm. Ich trank ein paar Schlucke und bemerkte erst jetzt seinen besorgten Blick. Hatte er mich die ganze Zeit schon so betrachtet?
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich leise und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
Ich brachte ein Lächeln zustande, wusste jedoch nicht, was ich darauf antworten sollte. Ob alles in Ordnung war? Ganz und gar nicht. Ich stand am Ende meines zweiten Lebens, wusste nicht, wie viel Zeit mir noch blieb, und wollte unbedingt dafür sorgen, dass es Mia gut ging. Dass der Streit mit Jeremy eine Ausnahme gewesen war und sie sich wieder versöhnt hatten. Ich wollte ihr noch so viel sagen und wusste nicht, wo ich überhaupt anfangen sollte.
Und dann war da noch Noah … Meine Hand legte sich auf seine, drückte sie gegen meine Wange. Er hatte so viel für mich getan, war vom ersten Moment an für mich da gewesen. Sicher wäre er schon längst ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen – hätten wir uns nur früher kennengelernt.
»Denkst du, deine Großmutter hätte gewollt, dass du dein Leben einfach so wegwirfst?«, fragte er leise und strich mit dem Daumen über meine Haut. Der Duft von Basilikum und anderen Kräutern drang in meine Nase. Langsam schüttelte
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