5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Erinnerung an mein altes und auch mein neues Leben. Der kurze Moment mit Grandma im Apfelgarten, bevor man mich zurückgeschickt hatte. Aber bedeutete das … ?
»Bin ich tot?«
Ein schmerzlicher Ausdruck trat auf das Gesicht mit den tiefen Falten um Augen und Mund, die von einem langen und glücklichen Leben erzählten.
»Du stirbst gerade«, flüsterte sie und streckte die Hände nach mir aus. Ich ergriff sie, ohne zu zögern. Die Wärme, die von meiner Großmutter ausging, war eine völlig andere als die, die ich in der Dunkelheit verspürt hatte. Als würde diese Wärme bis in mein Herz vordringen und mich von innen heraus mit Leben erfüllen.
»Du hast viel durchgemacht, Kara.« Ihre Worte, allein schon ihre Gegenwart trieben mir die Tränen in die Augen. »Aber das hier muss nicht das Ende für dich sein. Verschenke nicht die zweite Chance, die du erhalten hast. Nicht wegen der Lebenden und schon gar nicht wegen der Toten.«
»Ich konnte euch nicht gehen lassen«, flüsterte ich heiser.
»Ich weiß, Kleines.« Sie trat einen Schritt auf mich zu und strich mir durchs Haar. Auf einmal war ich wieder das kleine Mädchen, das Trost und Zuflucht bei seiner Großmutter gesucht hatte. Sie war immer für mich da gewesen. Mein Leben lang hatte ich zu ihr gehen, mit ihr reden und sie um Rat fragen können. Wie sollte ich ohne sie weiterleben? Wie konnte ich ohne Mia sein, die mir, seit ich denken konnte, ein Vorbild gewesen war?
»Du musst dich entscheiden.« Grandma sah mich durchdringend an. Ihre Augen waren so klar und voller Leben, genau wie früher.
»Was ist, wenn ich es nicht kann? Mich entscheiden?« Noch im selben Moment wusste ich, dass das nicht die Wahrheit war. Ich hatte mich schon einmal entschieden, doch damals war ich mir nicht richtig des Ausmaßes der Konsequenzen bewusst gewesen. Denn dafür hätte ich Noah zurücklassen müssen und alles, was mich mit ihm verband. Jede einzelne Sekunde, die er bei mir gewesen war und mir das Gefühl gegeben hatte, wieder lebendig zu sein. Konnte ich ihn einfach vergessen?
»Du weißt, was dann geschieht«, antwortete Grandma.
Ja, ich würde endgültig sterben. Ein zweites Mal und diesmal, ohne wirklich gelebt zu haben.
Der musternde, beinahe neugierige Blick aus ihren Augen entging mir nicht. Unwillkürlich musste ich lächeln, trotz meiner Tränen.
»Ich wünschte, du hättest ihn kennengelernt«, flüsterte ich erstickt, dicht gefolgt von einem leisen Schluchzen, als ich sie lächeln sah.
»Ich werde immer bei dir sein, Kara. Wir alle. Wir sind immer an deiner und Mias Seite.« Grandma zog mich in ihre Arme. Ich schloss die Augen und versuchte, diesen Moment tief in mir aufzunehmen. Ich schmiegte mich an sie, atmete tief durch und versuchte nicht länger, meine Tränen und meinen Schmerz zu unterdrücken.
Abschiede taten weh, doch sie hatten auch etwas Gutes. Nur so erfuhren wir, wie viel uns der Mensch, der uns verließ, tatsächlich bedeutete, und dass er für immer in unserem Herzen bleiben würde.
»Es wird Zeit.« Sie löste sich von mir. Jetzt konnte ich auch die Tränen in ihren Augen sehen.
»Werde ich dich wiedersehen? Und Grandpa? Mum und Dad? Mia?«, wagte ich zu fragen und umfasste ihre Hände mit meinen.
»Eines Tages.« Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und mir wurde bewusst, dass ich sie genauso in Erinnerung behalten wollte. Stark und mit sich selbst im Reinen. Ich wusste nun, dass es ihr gut ging. Ihr und Grandpa, Mum und Dad.
»Leb wohl, Kara.«
Der Garten und Grandma verschwanden vor meinen Augen, und die Dunkelheit nahm mich wieder in ihre schützende Umarmung. Ich ließ es zu, denn ich wusste, wohin ich wollte. Es hatte von Anfang an nur diese eine Entscheidung gegeben, doch ich hatte fast zu lange gebraucht, um es zu verstehen und zu akzeptieren. Mein Schicksal war mit Noahs verknüpft. Egal in welchem Leben.
Meine Finger zuckten. Jemand hatte sie mit seiner warmen Hand umfasst, und ich spürte, wie diese Hand für einen Moment erstarrte. Dann drückte sie vorsichtig meine Finger. Hoffnungsvoll.
Ich lächelte, denn ich wusste genau, wessen Hand es war.
»Kara?« Seine Stimme ließ mich erleichtert seufzen. Wo ich war, spielte keine Rolle, solange er nur bei mir war. Wieder sagte er meinen Namen und streichelte über meine Wange.
»Ich liebe es, wenn du das tust«, murmelte ich kaum hörbar und mit schwacher Stimme, aber am Leben. Ich war am Leben.
»Ich tue das, sooft du willst, wenn du nur die Augen öffnest«,
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