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5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

Titel: 5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: e-book LYX
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hatte.
    »Es hat nicht gewirkt.« In der Stimme der Mutter schwang nicht der leiseste Vorwurf mit, nur unendliche Traurigkeit. Émine versetzten ihre Worte einen Stich. Die Frau hatte all ihre Hoffnung auf diese Behandlung gesetzt, doch Émine hatte sich wieder einmal mit den Grenzen der Kräuterheilkunst konfrontiert gesehen. »Es tut mir leid«, hauchte sie. Sie kniete neben dem Bett des Jungen, der sein erstes Lebensjahrzehnt noch nicht vollendet hatte, und strich ihm über die Stirn. Ihre Berührung war nur ein warmer Hauch auf seiner Haut, denn Émines natürliche Gestalt war durchscheinend und ungreifbar wie sanfter Sommerwind.
    Die Mutter des kleinen Clément schlug die Hände vors Gesicht und brach in herzzerreißendes Schluchzen aus. Ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie fiel auf die Knie. Es war nicht das erste Mal, dass ein Patient zu spät ins Grüne Heim gebracht wurde, aber selten hatte Émine ein Schicksal so sehr berührt. Der kleine Clément litt unter einer unbekannten Infektion. Erst gestern war er aus einem Zustand völliger Gesundheit heraus in ein Koma gefallen, aus dem auch Émines Heilkünste ihn bisher nicht zu erwecken vermocht hatten. Er war das einzige Kind der armen Frau, die das gebärfähige Alter bereits überschritten hatte. Jacques hatte Mutter und Sohn gestern in Paris von der Straße aufgelesen. Die Not leidende Dame hatte verzweifelt an die Türen der Ärzte geklopft; die feinen Doktoren hatten einer Frau ohne die nötigen finanziellen Mittel jedoch kein Gehör geschenkt. Jacques brachte häufig mittellose Menschen ins Grüne Heim , mindestens einmal pro Woche. Es war Émines heilige Bestimmung, bedürftigen Menschen mit ihrer göttlichen Gabe zu helfen. Sie liebte ihre Aufgabe.
    Das Schluchzen der Frau steigerte sich zu einem markerschütternden Heulen. Émine drehte sich über die Schulter hinweg um und suchte den Blick von Jacques, ihrem menschlichen Mentor, der still in einer Zimmerecke stand und betreten dreinblickte. In seinen Augen waren Trauer und Bestürzung zu lesen. Émine wandte sich wieder der Dame zu, die ihren Blick mit verheulten roten Augen erwiderte.
    Émine fasste einen Entschluss. »Ich werde Euren Sohn mit meiner eigenen Energie ins Leben zurückholen«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. Sie verfestigte ihre körperlose Gestalt und legte der Frau eine Hand auf die Schulter. Die Dame hörte für den Moment auf zu schluchzen und sah mit einem verstörten Gesichtsausdruck zu Émine auf. Dann erhob sie sich vom Zimmerboden und streckte ihre Hand langsam nach Émine aus. Die Frau berührte sie sacht an der Schulter, als sei sie eine zerbrechliche Porzellanpuppe. In den Augen der Dame glänzten Tränen, aber ihr Blick war voll Bewunderung und Ehrfurcht. Ihre kühle kleine Hand strich zaghaft über Émines Wange. Émine ließ sie gewähren.
    »Ich habe niemals etwas derart Wundervolles erlebt«, flüster te die Dam e. »Ich darf einen Engel berühren.« Für den Augenblick schien sie den Kummer um ihren Sohn vergessen zu haben.
    In der Zimmerecke räusperte sich Jacques. »Émine, bist du sicher, dass du deine Kraft opfern möchtest? Du solltest vorsichtig sein.«
    Émine nickte, jedoch ohne den Blick dabei von der Mutter des Jungen abzuwenden. »Ich bin mir vollkommen sicher.« Sie setzte sich auf die Bettkante. Der kleine Clément hatte sich noch immer nicht gerührt. Sie griff nach seiner Hand. Jetzt, da sie ihre menschliche Gestalt angenommen hatte, würde auch der Junge die Berührung spüren.
    Émine mobilisierte ihre Energiereserven und konzentrierte sich auf die Heilung des Jungen, dem sie all ihre Kraft in den schlaffen kleinen Körper sandte. Es war eine Methode, die ein Eluvir nur selten anwandte, denn sie schwächte ihn nachhaltig. Jacques gab ein Seufzen von sich, das Émine jedoch ignorierte. Ihr Mentor war stets auf ihr Wohlergehen bedacht, was sie ihm nicht verübelte.
    Im gleichen Maße, wie Émine die Kräfte verließen, kehrten sie in den Jungen zurück. Schon bald öffnete er die Augen und bewegte die Füße. Seine Mutter stieß einen freudigen Schrei aus, stürzte zum Bett und umarmte ihren Sohn. Émine, deren Erscheinung aufgrund des enormen Kraftaufwands flackerte, ließ seine Hand los. Sie fühlte sich nicht gut, aber sie wusste auch, dass dieser Zustand nur vorübergehend war. »Sie können Clément jetzt mit nach Hause nehmen«, sagte sie. Ihre Stimme klang ein wenig dünn. »Er wird durchkommen.«
    »Merci, Madame! Merci!« Dicke

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