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5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

Titel: 5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: e-book LYX
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Tränen liefen der Mutter über die Wangen. »Wie kann ich Euch nur danken? Was kann ich tun?«
    Émine schüttelte sacht den Kopf. »Das Grüne Heim ist ein Ort der Güte und Hilfsbereitschaft. Geht nach Hause und lebt ein aufrichtiges Leben.« Sie streckte die Hand nach der Dame aus und strich ihr über den Oberarm. Sie würde sich schon bald nicht mehr daran erinnern können, einem Eluvir begegnet zu sein. Ein Hauch von Wehmut streifte Émine.
    Der kleine Clément lächelte. Émine war sich sicher, dass er noch zu benommen war, um wirklich zu verstehen, was mit ihm geschehen war, dennoch lächelte sie zurück. Seine Mutter wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht, nahm ihren Sohn auf den Arm und verließ unter Dankesbekundungen das Heilzimmer des Grünen Heims . Ihr war es sichtlich unangenehm, dass sie Émine nur ein strahlendes Lächeln zu bieten hatte, aber für Émine war es eine königliche Bezahlung.
    Als die Tür hinter der Dame ins Schloss fiel, stieß Émine ein tiefes Seufzen aus. Sie saß noch immer auf der Bettkante. Ihre Erscheinung war transparenter als gewöhnlich, denn ihre Kräfte kehrten nur sehr langsam zurück.
    »Lass uns zurück ins Haupthaus gehen«, sagte Jacques. »Es steht dir noch ein langer Abend bevor.«
    Émine nickte, erhob sich und folgte ihrem Mentor hinaus ins Freie. Das Heilzimmer – von Jacques und seinem kleinen Famulus gerne als ›Kräuterstube‹ bezeichnet – war nicht mehr als eine Hütte auf dem Gelände des Grünen Heims . Émine hatte vor Jahrzehnten ihren vorletzten Mentor gebeten, das Heilzimmer aus dem Haupthaus heraus hierherzuverlegen, weil sie die Stille und Abgeschiedenheit schätzte. Zudem wuchsen unzählige Kräuter und Heilpflanzen in dem kleinen Hain, in dem sich die liebevoll dekorierte Hütte befand. Das Wäldchen schloss direkt an den Garten des Haupthauses an und war wie geschaffen für das Gewerbe eines Eluvirs. Hier fand Émine die nötige Ruhe.
    Sie betraten das Haupthaus. Im Salon hockte Perien mit angewinkelten Beinen auf dem Boden und sortierte getrocknete Blätter. Als er Émine erblickte, verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen und offenbarte einen fehlenden Schneidezahn. »Habt ihr dem Jungen helfen können?«, fragte er.
    »Ja, das haben wir«, sagte Jacques. Émine merkte ihrem Mentor deutlich an, dass er keine große Lust hegte, dem neugierigen kleinen Jungen, der einmal sein Nachfolger werden würde, Fragen zu beantworten. Émine verübelte es ihm nicht. Jacques war in einem Alter, in dem Menschen oftmals dazu neigten, keine Geduld mehr mit der Jugend zu haben. Er hatte spät damit angefangen, sich einen Nachfolger heranzuziehen, der Émine einst als menschlicher Begleiter zur Seite stehen würde. Jacques war selbst erst vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten ins Grüne Heim gekommen, als sein Vorgänger vor der Zeit gestorben war, ohne einen Lehrling hinterlassen zu haben. Émine erfüllte ein Abschied stets mit Trauer, und obwohl sie schon mehr als zwei Dutzend Mentoren kommen und gehen gesehen hatte, hatte sie sich noch immer nicht an die Endgültigkeit des Todes gewöhnt.
    »Sorge dich nicht um den kranken Jungen, Perien«, sagte Émine und schüttelte ihre Gedanken ab. »Ich habe ihm geholfen.« Perien nickte und widmete sich wieder seiner Arbeit.
    Émine stieg die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf, öffnete die Tür zu ihrem Ruhezimmer und betrat den dahinterliegenden Raum. Jacques folgte ihr. Er war ihr in all den Jahren so vertraut geworden, dass Émine sich kaum noch einen Tag vorstellen konnte, an dem er ihr nicht wie ein Schatten anhing. Es war der Wille der Vier Heiligen – den Vätern der Eluviri – , dass ein Mensch ihre Kinder auf Erden begleitete und ihnen den Weg wies. Émine hatte die Entscheidungen der Engel nie infrage gestellt.
    Sie setzte sich auf das schlichte Bett, eine Lagerstatt, die Émine nur selten in Anspruch nahm. All ihre Möbel erfüllten den einzigen Zweck, den Schein eines gewöhnlichen Wohnhauses aufrechtzuerhalten. Sie waren Geschenke wohlwollender Gönner gewesen, denn das Grüne Heim finanzierte sich ausschließlich durch Spenden.
    »Du solltest mit deinen Kräften besser haushalten«, sagte Jacques und kratzte sich den dichten Schopf, der trotz seines Alters keine grauen Strähnen aufwies. »Unser Land kann auf keinen seiner Eluviri verzichten.« Er warf Émine einen tadelnden Blick zu, doch sie lächelte nur sanftmütig.
    »Ich weiß genau, was ich tue«, sagte sie. »Mach dir keine

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