5 Tage im Sommer
überflutete das Wasser die Badetücher, und es wurde Zeit zum Heimgehen.
Ein weißes Boot, dessen Name so verblichen war, dass er ihn nicht lesen konnte, dümpelte am äußersten Ende des Anlegers.
»Dort.« Daisy zeigte geradeaus. »Genau da hab ich es gefunden.«
»Auf dem Anleger?«
»Gib mir meine sieben Dollar und zweiundsechzig Cent, bitte . «
»Zeig mir zuerst, wo genau.«
»Oh, guck mal . «
Daisy hatte kein Interesse mehr an dem Anleger oder den Dollars, denn sie hatte etwas Besseres entdeckt: die platte Schnauze eines ausgemusterten Eiscremewagens, der auf der Straße parkte.
Sie rannte los, und David folgte ihr.
»Komm zurück!«
»Den müssen wir uns ansehen!« Daisy klang begeistert. Blödes Kleinkind. Verstand sie denn nicht, dass jetzt keine Zeit für Spielchen war?
David holte sie am Wagen ein, der vor sich hin rostete. Sie versuchte, die verbeulte Tür aufzuziehen, und er ergriff sie an der Taille ihrer Shorts, um sie zurückzuziehen.
»He!« Sie machte sich los und rannte lachend auf die andere Seite des Wagens.
David folgte ihr. »Daisy, zeig mir, wo du das Armband gefunden hast.«
»Du kriegst mich nicht!« Sie wollte um die Schnauze des Wagens herum entkommen.
Aber er war älter und größer und schneller und konnte sie leicht einholen. Seine Arme schnellten vor und hielten sie fest.
»Zeig mir einfach, wo.«
»Bist du verrückt?« Sie lachte nicht mehr.
»Zeig es mir, sofort . «
Er packte ihre Hand und zerrte sie den Weg zurück durchs Gestrüpp. Sie rutschten den mit Gras bewachsenen Hang hinunter. Daisy fiel auf ihre weißen Shorts und fing an zu weinen.
»Lass mich los!«
»Wo? Zeig mir, wo!«
»Da!« Sie weinte heftiger und zeigte auf den Steg.
David rannte bis zu dessen Ende und stand schließlich vor dem weißen Boot. Auf der einen Seite des Decks war eine Luke, durch die man ins Innere gelangte. Daisy war inzwischen verschwunden, ohne noch auf das Geld zu warten. Vom Boot kam ein Geräusch. Ein quiekender Grunzlaut wie von einem Tier, das große Angst hat.
David beugte sich vor und zog an der Leine, mit der das Boot am Steg vertäut war. Zentimeterweise kam es näher. Als es nur noch einen halben Meter entfernt war, sprang er an Bord. Mit seinen Turnschuhen schlich er übers Deck, leise wie eine Katze, so wie er es immer machte, wenn er sich an Sam heranpirschte, um ihn zu überraschen.
Er beugte sich hinunter zu der Luke und legte seine Hand auf den Knauf, als er wieder diesen tierischen Laut hörte. Zitternd drehte er den Knauf und machte die Luke auf.
Seine Augen brauchten einen Augenblick, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Aber dann sah er sie, seine Mutter, oder zumindest ihren Körper. Sie sah aus wie eine schlaffe Schaufensterpuppe, die man gegen die Bootswand geworfen hatte. Ihr Gesicht war starr wie eine Maske, und ihre Augen waren nach oben verdreht. Sie war nackt. Er hatte sie zwar schon öfter nackt gesehen, aber jetzt war es anders, ihre Haut war an manchen Stellen blau und an anderen grau. Außerdem saß sie in einer Pfütze Pipi. Es roch wie in einer Kloake. Böse Ahnungen schossen ihm durch den Kopf.
»Mommy!«, sagte David.
Sie bewegte sich nicht. David stockte der Atem. Lebte sie noch?
Dann hörte er wieder das Tier, aber es war kein Tier, es war Sammy. Er lag direkt vor Emily völlig verschnürt. David zitterte. Irgendjemand hatte Sam an diesem Morgen hierher gebracht, und es musste dieser gruselige Dr. Bell gewesen sein. Ich bin kein Pirat , habt ihr Lust auf eine kleine Spritztour? Er musste Sammy aufgegabelt haben, als David ein Auto gehört hatte und davongelaufen war, um sich im Wald zu verstecken. Aber der Doktor war jetzt nicht hier. Die Bootskabine bestand nur aus einem einzigen Raum. Er musste schnell handeln.
David stürzte zu seiner Mutter hin, um den Strick zu lösen, der ihre Handgelenke fesselte. Der Knoten war fest gezurrt, aber David zerrte so lange daran, bis er endlich einen Strang lösen konnte, dann noch einen. Schließlich streifte er die Fessel ab. Irgendwie hatte er erwartet, dass sie ihre Hände nach ihm ausstrecken und ihn an sich drücken würde, aber sie fielen einfach nach unten. Er ging vor ihr in die Knie und sah, dass sie blaue Flecken an ihren Schläfen hatte. Ihre Augen standen weit offen, aber man sah nichts als das blutunterlaufene Weiß der Augäpfel.
»Sieh mich an, Mom!«
Ihre Augen reagierten nicht.
Er legte seine Wange an ihr Gesicht und spürte an ihrer Nase den warmen Puls ihres
Weitere Kostenlose Bücher