5 Tage im Sommer
kaum verbergen.
»Hab eine Nachricht von der Einsatzzentrale bekommen. Es hieß, ich soll Sie abholen und zur Shoestring Bay bringen. Und da wären wir.«
»Aber Sie haben gesagt, ich sei vierzig Minuten zu Hause gewesen. Sind Sie denn nicht zum Revier zurückgekehrt?«
Er blinzelte. Amy wusste, was passiert war. Er hatte seinen Zwischenstopp bei Dunkin’ Donuts etwas verlängert, um nicht wieder zum Revier zurückkehren zu müssen. Dort hätte ja Arbeit auf ihn gewartet. Amy seufzte. Snow war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. In dem Moment kam eine Brise von der Bucht her auf, erfasste Snows quer über den Kopf gekämmte Haarsträhnen und wehte sie auf die falsche Seite. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie wieder in die gewünschte Richtung zu glätten. Amy verspürte einen Anflug von Mitleid mit ihm.
Sie zog ihre Waffe aus dem Halfter. »Sehen wir uns um.«
Snow folgte ihr, als sie über das Bootsdeck schlichen. Eine Luke führt ins Innere. Zu ihrer Überraschung war sie nicht abgeschlossen. Sie stieß die Luke auf. Uringestank schlug ihr entgegen. Es war grässlich. Amy zog den Kopf zurück und füllte ihre Lungen mit Meeresluft.
»Sieht schlimm aus, Al. Da drinnen ist was.«
»Soll ich vorangehen?«, fragte er.
Sie antwortete ihm gar nicht erst, sondern tastete nach einem Lichtschalter, fand aber keinen. Auf der anderen Seite der Kabine erkannte sie Vorhänge, die zwar zugezogen waren, aber dennoch ein wenig Licht hineinließen. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wusste sie, dass sie an der richtigen Stelle war.
An der Wand lehnte ein regloser Körper. Es war Emily Parker, nackt, die Knöchel noch gefesselt, die Arme frei. Sie lag in ihren eigenen Exkrementen. Ihre Haut sah schlimm aus. Vor ihr lag ihr Sohn Sam. Er war mit Stricken gefesselt.
»Polizei!«, rief Amy in die Kabine.
Beim Klang ihrer Stimme zuckte Sams Körper unkontrolliert.
Sie kletterte mit entsicherter Waffe die Leiter hinunter. Snow polterte hinter ihr herunter.
»Wo sind Sie, Bell? Kommen Sie raus. Es ist vorbei.«
Sie hörte nichts bis auf Snows Schritte, die langsam näher kamen. Er hätte ihr gar nicht folgen dürfen, sondern hätte in der entgegengesetzten Richtung suchen sollen. Es handelte sich zwar um eine kleine Kabine, aber es gab einige Stellen, wo Bell sich versteckt haben konnte.
»Al, sehen Sie hinter der Kombüse nach.« Sie spürte sein Zögern, seinen Unwillen, einem Befehl von ihresgleichen nachzukommen. »Bitte, tun Sie’s einfach.«
KAPITEL 34
I m Inneren des Kastens unter der Bank, zusammengekauert neben einem zusammengerollten Schlauch, lauschte David den Schritten auf dem Bootsdeck. Es war heiß hier drinnen und dunkel. Der Schlauch nahm zu viel Platz ein, zwang ihn in eine Ecke. Er hörte, wie die Luke knirschend aufging und zuerst eine, dann zwei Stimmen sprachen. Die Stimme der Frau rief »Polizei!«, und ihm war zum Weinen zumute.
Es war nicht Roger Bell und auch kein anderer böser Mensch. Jemand war gekommen, um sie zu retten.
David drückte den Deckel des Kastens nach oben. Seine Augen mussten sich an das trübe Licht gewöhnen, aber es war besser als die vollkommene Dunkelheit seines Verstecks. Er konnte die Polizisten durch den zentimeterbreiten Spalt sehen. Einer von ihnen lief direkt zu Mom, aber der andere blieb einfach stehen. Irgendwas schien nicht zu stimmen. David verhielt sich still und sah zu.
Der weibliche Detective, die Lady, die er in Grandmas Haus und dann auf dem Polizeirevier gesehen hatte, beugte sich über Mom. David hielt den Atem an. Er befand sich so dicht neben ihnen, dass er Amys langes Haar hätte berühren können, als es über Moms Schultern fiel. Mit zwei Fingern an Moms Handgelenk fühlte Amy deren Puls. Sie sah besorgt aus. Gleichzeitig wirkte sie erleichtert, Mom gefunden zu haben.
Sam schlug immer noch seinen Kopf auf den Boden, sogar heftiger als zuvor. Amy wandte sich ihm zu, sah ihm in die Augen und wischte ihm mit einer Hand Tränen und Schweiß von den Wangen, während sie mit der anderen an dem Knoten hinter seinem Rücken zerrte.
Dann sah David den anderen Cop hinter ihr auftauchen. Es war Al Snow. Eine Sekunde zuvor hatte er gehört, wie sie ihm aufgetragen hatte, irgendwo nachzusehen: Tun Sie’s einfach . Sie hatte verärgert geklungen, aber er hatte sich nicht darum geschert, sondern war einfach stehen geblieben und hatte ihren Rücken angestarrt. Jetzt ging er in ihre Richtung,
Weitere Kostenlose Bücher