52 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 04 - Arizona
Indianerposten.“
„Keine Sorge! Bin ich einmal außerhalb des Gebäudes, so soll mich nicht so leicht jemand ergreifen. Also bitte, binden wir den Lasso hier an das Tischbein, damit Ihr Euch nicht unnötig anzustrengen habt. Und nun das Fenster auf!“
Der Derwisch ließ sich hinab. Leflor aber zog seinen Lasso zurück und machte das Fenster wieder zu.
Des anderen Morgens früh punkt neun Uhr geschah zweierlei: als der Förster um diese Zeit in den Keller kam, war der Gefangene fort – und dort am Bergsturz standen die beiden armen Führer und warteten vergebens, daß Leflor ihnen die Pferde zurückbringen werde.
DRITTES KAPITEL
Ein seltsames Wirtshaus
Prescott, der Hauptort von Yavahai County im nordamerikanischen Staat Arizona, war zur Zeit, da die uns bekannten Personen dort handelnd auftraten, noch Sitz der Territorialbewegung. Man hatte in der Nähe reiche Gold- und Silberlager entdeckt, und durch diese Entdeckung waren, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegt, eine Menge fraglichster Existenzen herbeigezogen worden.
Es versteht sich ganz von selbst, daß an einem Goldgräberort die Schnapsschenken und Spielhäuser wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Sie alle, alle waren verrufen. Eine einzige nur erfreute sich eines einigermaßen guten Leumundes, und der Wirt dieser Venta war – nicht einmal ein Wirt, sondern eine Wirtin, eine Frau, oder, um die Wahrheit zu sagen, eine alte Jungfer.
Eine bedeutende Strecke vor der Stadt lag diese Venta. Das Gebäude war aus unbehauenen Steinen errichtet, bestand aus dem Parterre und dem Dachraum mit zwei kleinen Giebelstuben.
Über der Tür war ein großes Schild angebracht. Es zeigte eine weibliche Figur mit Büchern, einer Weltkugel, einer Palette und einem Winkelmaß in den Händen, und darunter war in großen Buchstaben zu lesen:
„Venta zur gelehrten Emeria.“
Die Wirtin hieß nämlich Emeria, Señorita Emeria. Sie hatte ihren Kopf in die Wissenschaften gesteckt und ihr Herz an den Branntwein gehängt. Trotz dieser Liebhaberei war sie ein resolutes, respektiertes Frauenzimmer. Sie trank nämlich sehr oft, nie aber zuviel, und da ihr Kopf nur der Kunst und Wissenschaft gehörte, so fand der Schnaps in demselben keinen Platz, sie war nie betrunken. Desto öfter aber setzte er sich in ihrem Herzen fest. Geschah dies, so dachte sie an ihre erste und einzige Liebe und weinte ihr bittere, nach Branntwein duftende Tränen nach.
Außer vielen anderen Eigentümlichkeiten hatte sie besonders die eine, daß sie jeden Gast auf seine Kenntnisse prüfte; nach diesen richtete sich ihr Verhalten. Sie hatte früher einmal Erzieherin werden wollen und zwei Jahre lang über drei oder vier Büchern gesessen. Aus diesen hatte sie eine ihrer Meinung nach beispiellose Weisheit geschöpft, und nun war sie stets bereit, mit jedem ein gelehrtes Turnier einzugehen. Wie es wirklich um ihr Wissen stand, das ahnten wenige; noch wenigere wußten es; sie aber ahnte es selbst nicht einmal.
Heute saß ihre sehr lange, sehr dürre, scharf und spitz gezeichnete Gestalt am Tisch, eine große Klemmbrille auf der Nase, ein Buch vor sich, daneben rechts ein Stück Ton zum Modellieren und links die Zeichnung einer oberschlächtigen Öl- und Getreidemühle. Sie studierte. Das heißt, sie nickte halb im Traum vor sich hin und tat zuweilen einen Schluck aus dem kleinen Fläschchen, das in einer Höhlung des Modelliertons steckte.
Sie war bisher allein gewesen; jetzt aber öffnete sich die Tür, und ein junger, hübscher, mutwillig dreinblickender Bursche trat ein. Das war Pedro, ihr Peon oder Reitknecht, der aber nebenbei auch alles andere war. Und das war er, weil er sich ihre ganz besondere Zuneigung erworben hatte. Und diese hatte er erlangt, weil er alle ihre gelehrten und verblüffenden Fragen sofort, ja blitzschnell auf eine noch viel gelehrtere und verblüffendere Weise beantwortete. Er fühlte sich sehr wohl dabei. Sie merkte gar nicht, daß er sich nur lustig über sie machte.
„Was befehlen Señorita zum Abendessen?“ fragte er.
„Jetzt noch nichts, ich will erst abwarten, welche Temperatur wir am Abend haben. Die Temperatur steht nämlich in innigster Wechselbeziehung zu der menschlichen Speicheldrüse –“
„Leberwürmern und schneidenden Winden“, fiel er sofort mit der Sicherheit eines Professors der Pathologie ein.
Sie blickte überrascht auf.
„Das ist sehr richtig, besonders das von den Winden. Diese hängen ganz besonders von der Temperatur ab. Sie stehen in
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