54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Kastellan. „Fürchten Sie immer noch für die Herrschaften?“
„Nein, nun nicht mehr. Das klappt wirklich alles auf das vortrefflichste“, meinte der Polizist. „Aber ob sich die Herrschaften diesem Fußboden auch wirklich anvertrauen werden, das möchte ich denn doch bezweifeln.“
„Darüber sorge ich mich gar nicht. Der Prinz wird ihnen jedes Bedenken nehmen. Und übrigens ist es auch unbedingt notwendig, daß sie es tun, denn nur auf diese Weise erhalten sie den vollgültigen Beweis gegen die Verbrecher. Diese letzteren müssen die Überzeugung gewinnen, daß ihr Werk gelungen sei.“
„Allerdings. Dann aber das Entsetzen, wenn sie die Totgeglaubten lebend vor sich sehen! Lassen Sie nur den verkleideten Derwisch nicht aus den Augen und sorgen Sie dafür, daß er keinen Verdacht schöpft!“
„Keine Sorge! Was an mir liegt, das soll auf das gewissenhafteste ausgeführt werden.“
„So sind wir fertig und können wieder nach oben gehen.“
Die beiden Männer schlugen nun denselben Weg ein, den auch der Kastellan mit den vorigen Besuchern aufwärts gegangen war, worauf der Polizist sein Pferd herbeiholte und sich von dem dienstwilligen Alten verabschiedete.
Dieser aber sorgte jetzt dafür, daß alles zum Empfange der zu erwartenden Personen bereit war, und daß später kein Fehler vorkommen konnte.
Während dieser Vorbereitungen verging der Rest des Nachmittages und auch der Abend, und endlich kam Mitternacht herbei.
Der Kastellan saß bei seiner Lampe und rauchte eine Pfeife Tabak. Der Schein des Lichts fiel durch das Fenster in den Hof hinab, und der Alte dachte eben darüber nach, was doch in der jetzigen Zeit für eigentümliche Dinge passierten, fast so abenteuerlich wie damals, als die Herren des Mittelalters ihre winkelreichen, so viele Geheimnisse in sich bergenden Burgen erbauten, und schüttelte den Kopf. Da klatschte unten jemand in die Hände. Schnell nahm er das Licht und ging in den Hof hinab, und er sah nun den Pascha, an dessen Seite eine weibliche Gestalt stand.
„Hier bringe ich Ihnen den entflohenen Gefangenen“, redete der Pascha ihn an. „Er mag, wenn er von irgend jemand gesehen werden sollte, als eine Verwandte von Ihnen gelten.“
„Schön! Er soll bei mir gut aufgehoben sein. Wollen die Herren mit heraufkommen?“
„Ich nicht. Ich gehe gleich wieder fort, denn ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Es ist über Mitternacht, und ich will schlafen, da ich nicht weiß, wie lange ich morgen und nächstens zu wachen habe.“
Damit entfernte sich der Pascha wieder. Der Alte aber führte den einstigen Derwisch nach oben und hieß ihn, sich niederzusetzen. Da konnte er ihn mit Muße betrachten.
Der Agent hatte wirklich ein Meisterstück an dem Derwisch vollbracht. Die Verkleidung paßte ganz genau und verhüllte sehr gut das Männlich-eckige der Gestalt. Die Perücke saß ausgezeichnet; das Gesicht war glattrasiert, und Schminke und Puder hatten das übrige getan, um den Mann vollständig unkenntlich zu machen.
Er sah aus wie eine Südländerin, etwa wie eine Neapolitanerin oder Sizilianerin, mit etwas weniger weichen Gesichtszügen als gewöhnlich.
„Also, wollen Sie sich mir anvertrauen?“ fragte der Kastellan. „Ich denke, daß Sie mit mir zufrieden sein werden.“
„Das hoffe und erwarte ich, denn Sie werden sehr gut dafür bezahlt“, meinte der Derwisch in etwas hochmütigem Ton. „Übrigens wissen Sie wohl alles und weshalb ich gefangen war?“
„Genau nicht.“
„Ist auch nicht nötig. Wenn Sie nur darüber unterrichtet sind, wie Sie sich zu verhalten haben.“
„Das bin ich allerdings.“
„So zeigen Sie mir vor allen Dingen meine Wohnung und auch die unterirdischen Räumlichkeiten, die ich kennen muß, vor allen Dingen den äußeren Eingang zu den Verliesen.“
„Das ist heute abend in der Finsternis unmöglich. Aber in der Frühe werde ich Sie sofort hinausführen.“
„Schön! Ich muß das so bald wie möglich kennenlernen, da ich nicht weiß, wann ich davon Gebrauch machen muß. Wer wohnt noch mit Ihnen hier?“
„Niemand.“
„Das freut mich. Erhalten Sie Besuch?“
„Es kommt kein Mensch.“
„Auch das ist gut, denn ich mag mich natürlich nicht sehen lassen. Aber sobald ein Bote kommt, benachrichtigen Sie mich. Ich muß dann augenblicklich mit ihm sprechen.“ – – –
Am Spätnachmittag dieses Tages hatte der dicke Sam Barth eine Depesche folgenden Inhaltes erhalten:
„Ich komme mit dem Zehnuhrzug nebst
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