54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
wollen wir ihr sagen, daß Tschita und Zykyma noch am Vormittage bereit sind.“
Die beiden Genannten machten einigermaßen verlegene Gesichter.
„Muß es denn sein, Herr Steinbach?“ fragte die erstere.
„Ja, schöne, gnädige Frau. Es muß sein.“
„Aber man wird uns einsperren.“
„Nur auf einige Stunden. Und Sie haben ja gehört, daß Sie nicht im Verlies zu bleiben brauchen. Übrigens werden wir Männer dann am Nachmittage nachkommen.“
Nun wurde das Weitere besprochen, wobei aber, wie leicht erklärlich, das Gespräch zahlreiche Sprünge nach der Vergangenheit zurückmachte. So kam es, daß der Morgen bereits graute, als man es endlich glaubte, nun doch die lange Sitzung schließen zu müssen.
Steinbach erklärte, daß er nicht gern in einem Gasthaus logiere. Er war nämlich überzeugt, sofort erkannt zu werden, und das wollte er vermeiden. Normann stellte alle seine disponiblen Zimmer zur Verfügung, dennoch aber mußten viele nach dem Hotel aufbrechen, um trotz der frühen Stunde dort Aufnahme zu suchen. –
Am Vormittag saß der Derwisch bei dem Kastellan, seinem Wirt. Sie unterhielten sich nicht eben gerade in herzlicher Weise, denn das Wesen des verkleideten Flüchtlings war kein solches, welches Sympathie zu erwecken vermochte.
Da klopfte es. Der Kastellan trat zur Tür und fragte, ohne dieselbe zu öffnen:
„Wer ist da?“
„Ich, Lina.“
„Da du es bist, so darfst du herein. Bringst du etwa eine wichtige Botschaft? Du bist ganz außer Atem.“
„Ja, ich mußte mich beeilen, denn Tschita und Zykyma können schon in wenigen Minuten da sein.“
„Donnerwetter!“ rief der Derwisch, indem er von seinem Stuhl aufsprang. „Wer hat sie auf diesen Gedanken gebracht?“
„Ich natürlich. Ich habe den Aberglauben der Orientalinnen benutzt und ihnen erzählt, daß es hier bei der Ruine eine Quelle gibt, die einen prächtigen Teint verleiht, wenn man sich an einem gewissen Tag vormittags mit dem Wasser derselben wäscht.“
„Aber wissen Sie auch genau, daß sie kommen werden?“
„Ja, denn ich sah sie gehen. Ich paßte auf und bin ihnen vorangeeilt.“
„Und ist wirklich eine Quelle hier?“
„Gewiß“, antwortete der Kastellan. „Sie ist übrigens gar nicht weit von der Stelle, an der sich der geheime Eingang befindet, den ich Ihnen heute früh zeigte.“
„So müssen Sie mich gleich hinführen. Kennen Tschita und Zykyma den Quell?“
„Nein“, antwortete Lina. „Sie sind ja noch gar nicht hiergewesen. Aber ich habe ihnen denselben so genau beschrieben, daß sie ihn unbedingt finden müssen.“
„Schön, schön! So muß ich fort. Führen Sie mich, Kastellan.“
„Halt! Gar so sehr brauchen Sie sich nicht zu beeilen. Ich glaube, eine tüchtige Viertelstunde Vorsprung gewonnen zu haben und muß Ihnen etwas Wichtiges melden, ehe ich gehe. Steinbach ist da. Er ist gestern abend eingetroffen, und es sind viele Personen mit ihm gekommen.“
„Dann hat er jedenfalls die ganze sibirische Gesellschaft bei sich. Auch einen Adlerhorst?“
Der Derwisch nannte alle Namen derer, die er hier vermutete, und Lina bestätigte dieselben.
„Ah, so haben wir das ganze Nest beisammen!“ rief er aus. „Melden Sie das sofort dem Pascha. Er muß es so schnell wie möglich erfahren. Ich aber will jetzt zur Quelle.“
Lina entfernte sich. Der Derwisch ließ sich zu dem Wasser führen, an dem er sich wartend niedersetzte, als der Kastellan ihn verlassen hatte.
Unten auf der Straße traf Lina mit Tschita und Zykyma zusammen, die mit ihr herausgegangen waren und hier auf sie gewartet hatten.
„Der Derwisch ist, als Frau verkleidet, soeben fort zur Quelle“, meldete sie. „Nun können Sie gehen.“
Und dann sprach sie Zykyma und Tschita so eindringlich zu, daß es ihr endlich gelang, den Mut der zarten, schönen Geschöpfe anzufachen.
Diese ließen sich die Lage der Quelle noch einmal genau beschreiben und setzten dann ihren Weg fort.
Die Straße stieg bergan zur Höhe empor, auf der Schloß Grafenreuth lag. Dann führte ein schmaler Weg am Tor vorüber, abwärts in den Wald hinein, wo zwischen Erlen und Espen das Wasser der erwähnten Quelle aus der Erde drang.
Als sie dort anlangten, sahen sie eine recht gutgekleidete Frau sitzen, die ihren Schleier ziemlich weit über das Gesicht herabgezogen hatte. Das war natürlich der Derwisch.
Er hatte aufmerksam gehorcht und die Schritte der Nahenden vernommen. Jetzt tat er, als ob er sich zufällig umblicke und sie bemerke, und
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