55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
sich an dieser Dame zu vergreifen? Ihre Schwimmpartie soll Ihnen ein anständiges Trinkgeld einbringen. Hier haben Sie zwei Zwanzigfrancstücke; das ist für einen buckligen Schulmeister eine mehr als noble Gratifikation. Lassen Sie sich aber nicht wieder bei der Dame sehen, sonst schlage ich Ihnen den Rücken breit, was Ihnen übrigens nur lieb sein könnte, weil dann Ihr Bisonhöcker eine manierliche Gestalt bekäme. Hier, Sie Billardtölpel!“
Er griff in die Tasche, zog zwei Goldstücke hervor und hielt sie dem Angesprochenen entgegen. Müller verbeugte sich höflich und antwortete:
„Ich bin ein armer Teufel und werde also Ihre freundliche Gratifikation annehmen, setzte jedoch voraus, daß Sie mir erklären, daß Ihnen das Leben der Baronesse de Sainte-Marie wirklich vierzig Francs wert ist.“
Und als der Oberst, der sich durch diese Forderung verblüfft fühlte, nicht sogleich antwortete, fuhr Müller lächelnd fort:
„Ich sehe, daß Ihnen diese Summe denn doch zu hoch erscheint. Überlegen sie sich den Handel, bis wir uns wiedersehen.“
Er ging. Nach einiger Zeit verließ er in seinem Anzug, der wieder trocken geworden war, den Meierhof. Nur der Hut war auf dem Schiff zurückgeblieben und mit diesem versunken, ebenso der alte Regenschirm. Fritz begleitete Müller nicht, da er jetzt zu Doktor Bertrand gehörte, welcher mit den Damen abreisen wollte.
Am späten Nachmittag erschien eine Dame und ließ sich bei der Baronesse anmelden. Sie erklärte, daß sie eine Damenkonfektionärin aus Hetzerath sei und eine Auswahl von Roben mitgebracht habe, da die Kleidung des gnädigen Fräuleins doch nicht wieder anzulegen sei. Und befragt, wie sie nach dem Meierhof komme, gab sie die Auskunft, daß sei von einem buckligen Herrn geschickt sei, welcher ihr mitgeteilt habe, daß die beiden Damen hier ihrer wohl bedürfen würden.
„Das ist mein Retter gewesen“, dachte Marion. „Dieser Mann ist ebenso umsichtig wie kühn. Er entreißt mich wirklich einer großen Verlegenheit, und ich wünsche sehr, ihn wiederzusehen, um ihm danken zu können.“
Die Konfektionärin verkaufte an Marion und Nanon je ein Reisegewand.
ZWEITES KAPITEL
Waffenprobe
Verfolgt man die Straße, welche von Thionville über Stuckingen nach Südosten führt, so passiert man einige kleine Zuflüsse der Mosel und gelangt unbemerkt auf eine fruchtbare Hochebene, in deren reichen Bodenertrag sich einzelne kleine Dörfer und Meierhöfe teilen. Dort liegt der Weiler Ortry mit einem Schloß, dessen Äußeres allerdings keinen sehr imponierenden Eindruck macht, dessen innere Ausstattung aber desto mehr von dem Reichtum seines Besitzers zeugt.
Dieser ist der Baron von Sainte-Marie. Vor einer nicht zu langen Reihe von Jahren in diese Gegend gekommen, war er den Bewohnern derselben vollständig fremd gewesen, und auch jetzt wußte man weiter nichts, als daß sein Name erst seit einiger Zeit in die Adelsregister aufgenommen worden sei.
Er lebte den Winter über in Paris und kam beim Anbruch des Frühjahres nach Ortry, um bis zum Spätherbst hierzubleiben. Er gab keine Gesellschaften und lebte sehr zurückgezogen, hatte aber auf die Arbeitsverhältnisse der Umgegend einen großen Einfluß gewonnen.
In der Nähe des Schlosses, unten am Bach, wo früher die Rinder geweidet hatten, erdröhnten jetzt die Dampfhämmer; riesige Schornsteine ragten empor, und schwarze Räder drehten sich unter heimtückischem Schnauben im Kreis. Rußgeschwärzte Arbeiter hantierten mit Zange und Feile, und auf dem ganzen Etablissement lag jene mit Ruß und metallischen Atomen geschwängerte Luft, welche eines der unangenehmsten Attribute unseres eisernen Zeitalters ist.
Der Baron von Sainte-Marie betrat diese rauchgeschwärzten Gebäude nur selten selbst. Ein Fabrikdirektor hatte die Aufsicht über alle Arbeiter. Öfters jedoch stieg eine lange, hagere, weißköpfige Gestalt vom Schloß hernieder, um, ohne ein Wort zu sagen, langsamen Schritts die Fabrikräume zu durchwandern, und dann flüsterten die Arbeiter einander warnend zu: „Der Kapitän geht um!“
Dieser Kapitän war der Vater des Barons. Man erzählte sich, daß er bereits neunzig Jahre alt sei; aber seine Haltung war kerzengerade, sein dunkles Auge noch voll Leben und sein Mund noch voll der schönsten Zähne. Diese letzteren bemerkte man, wenn er sich in zorniger Stimmung befand. Er zog dann mit einer fletschenden Bewegung seiner Oberlippe den dicken, schneeweißen Schnurrbart empor, so daß sein starkes,
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