55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
fragte:
„Warum antworten Sie mir nicht?“
Jetzt endlich drehte er sich um; sie fühlte, daß er ihre Hand von sich schüttelte; dann sagte er:
„Weil in Ihren Worten eine größere Beleidigung lag, als in denen des Obersten. Aber, pah, ich bin ja nur ein simpler Hauslehrer, welcher sein Salär bezieht!“
„Sie irren, Herr Doktor. Ich wollte Sie nicht beleidigen“, erklärte sie hastig mit tiefer Stimme. „Sie sind mein Retter und auch der Retter meines Bruders; wie sollte ich Sie kränken wollen! Übrigens stehen wir uns vollständig gleichwertig gegenüber. Nur der Zufall ließ mich von Adel sein; Sie aber haben Ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen Ihrem Fleiß zu verdanken. Der Bruder soll von Ihnen lernen; sagen Sie selbst, ob dies Ihren Wert für uns vermindern oder vergrößern muß!“
Sie hatte ihm dringlichsten Ton gesprochen; Müller mußte fühlen, daß ihr sehr daran lag, von ihm nicht falsch beurteilt zu werden. Das erfüllte ihn mit Seligkeit. Sie fügte hinzu:
„Ich hatte keinen Grund zu meiner Frage, als den, Ihnen anzudeuten, daß ich mich gefreut hätte, Sie auch dem Obersten gegenüber als Mann zu sehen, als welchen ich Sie kennenlernte. Als ich mich in Gefahr befand, war er nur auf seine eigene Rettung bedacht. Als er den kleinlichen Mut hatte, Sie zu beleidigen, gingen Sie schweigsam fort. Sagen Sie selbst, ob mir dies nicht auffallen muß!“
Sie suchte sich zu entschuldigen. Sie sagte ihm mit deutlichen Worten, daß es ihr lieber gewesen, den Obersten gehörig zurückgewiesen zu sehen. Wie wohl tat dies dem Herzen Müllers! Wie entzückt war er darüber! Er hätte seine Arme um sie legen mögen, um ihr dafür zu danken, wie man der Geliebten dankt für das Glück, welches ihre Worte in das Herz des Mannes pflanzen. Er erklärte ihr:
„Ich hätte ihm nur mit der Waffe, nicht aber mit Worten antworten können!“
„Nun, warum taten Sie das nicht?“
„Weil es für meinen Gegner keine Kleinigkeit ist, sich mit mir zu schlagen.“
Er sagte diese Worte in aller Ruhe und Bescheidenheit, sie aber fühlte und glaubte, daß sie kein fades Eigenlob enthielten. Dennoch sagte sie:
„Das ist zwar gut für Sie, darf Sie aber nicht veranlassen, sich ungestraft beleidigen und blamieren zu lassen!“
Da trat er näher an sie heran und fragte in einem Ton, der tief eindringlich klang:
„So wünschen Sie, daß ich Ihnen den Bräutigam töte?“
Sie wich hastig einen Schritt zurück und erkundigte sich:
„So haben Sie nur meinetwegen von einer Bestrafung des Obersten abgesehen?“
„Allerdings!“
„Das war ganz und gar nicht nötig. Wer hat Ihnen gesagt, daß er mein Bräutigam ist?“
„Er selbst hat sich dessen öffentlich gerühmt.“
„Ah, so erkläre ich Ihnen, daß mir dieser Mann völlig unsympathisch ist und daß Sie ihn in Rücksicht auf mich ganz und gar nicht zu schonen brauchen. Großpapa wünscht unsere Verbindung; ich aber werde meine Hand niemals einem Mann reichen, den ich weder lieben noch achten kann!“
Marion hielt inne, und Müller erkannte, daß sie die Wahrheit gesprochen.
Nur wenige Sekunden dauerte das Schweigen zwischen Müller und Marion, dann nahm ersterer das unterbrochene Gespräch wieder auf.
„Ich danke Ihnen für Ihre Güte, Mademoiselle!“ sagte er, während sein ganzes Inneres frohlockte. „Als Mann von Ehre hatte ich den Obersten zu fordern, aber er ist der Gast des Hauses, dessen Diener ich gegenwärtig bin.“
„Das tut nichts“, sagte sie in sehr bestimmten Ton. „Kennen Sie den Großpapa?“
„Das ist noch nicht gut möglich!“
„Nun, so will ich Ihnen sagen, daß er selbst ein leidenschaftlicher Fechter und Schütze ist. Seine höchste Passion ist, einem Kampf zuzusehen. Hätten Sie den Obersten gefordert, so hätte Großpapa Ihnen dies nicht im mindesten übelgenommen. Ich bin im Gegenteil überzeugt, daß er Ihnen von Herzen gern sekundiert – oh, mein Gott!“
Dieser Ruf, mit welchem sie ihre Rede unterbrach, galt einem Blitz, welcher mit mehr als Tageshelle die Szene erleuchtete, und einem Donnerschlage, unter dessen Erschütterung das alte Gemäuer des Turmes einzustürzen drohte. Im Schein des Blitzes hatten die beiden das ganze vor dem Turm liegende Felsengewirr zu überblicken vermocht, und da hatten sie eine hohe, weiße Gestalt gesehen, welche zwischen den Felstrümmern daher und gerade auf den Turm zugeschritten kam. Selbst als das blendende Licht des Blitzes verzuckt war, sah man das lange, weiße
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